Berühmt wurde der Fotograf, obgleich für seine Mode- und Werbe-Aufnahmen erfolgreich und gefragt, vor allem für sein von der Zeitschrift Vogue beauftragtes und später auch als Buch publiziertes »Last Sitting«, das Marilyn Monroe 1962 Bert Stern gewährte – kurz vor ihrem plötzlichen Tod. Aber auch ohne den Charakter eines Vermächtnisses ist diese Begegnung von MM und der Kamera ein Dokument von Schönheit und Schmerz, Kindlichkeit, Unschuld und der Spur des Alters, flirtender Lebenslust und tieftrauriger Verlorenheit. Monroe, Schwarzweiß und in Farbe, im Duett mit Chinchilla, Chiffon, Perlen und Strass.
Zuvor schon, 1958 – der aus Brooklyn stammende Sohn jüdischer Einwanderer ist knapp 30 Jahre alt – drehte Stern über das Newport Jazzfestival eine swingende Dokumentation, die nun, in restaurierter Fassung, ins Kino kommt. Der wasserblaue und wie mit dem Buntstift spielende Vorspann sieht aus, als habe David Hockney zum Pinsel gegriffen. Zu dem Dutzend und mehr auftretender Künstler auf den Bühnen in Rhode Island an der amerikanischen Ostküste gehören der Solitär Louis Armstrong (natürlich mit weißem Taschentuch), Dinah Washington (in einer unglaublichen Bonbonniere von Kleid), Chuck Berry, Thelonius Monk und Mahalia Jackson, die den Gospel aus ihrer Herzgrube fördert und zum Finale dieser weltlichen Messe das »Vater Unser« singt.
Stern hat ein Auge für Situationen, für den gesammelten Augenblick. Stillleben mit Bierflaschen und Sonnenuntergang zu Bachs Cellosuite, die pausiert für eine Zigarette. Ein Hund streicht entlang leerer Stuhlreihen, die sich bald füllen; eine junge Frau in roter Strickjacke räkelt sich; jemand verputzt Eis am Stiel; zwei Männer haben bunte Taschentücher auf dem Kopf gegen die Sonne; ein kleines Mädchen trägt zu große Pumps; rosa Wäsche hängt auf einer Leine hinter einem Haus; alte Ladies kutschieren in ihren Limousinen. Das Publikum könnte gecastet sein für einen Film von Douglas Sirk oder Nicholas Ray. Einige Männer sehen aus wie Bobby Kennedy, Frauen wie Lana Turner, Paare wie aus einem Roman von Françoise Sagan.
Nebenan auf dem Meer, im glitzernden Flimmern der tanzenden Wellen, kreuzen die schlanken Boote der Segel-Regatta, manchmal denkt man, es seien Spielzeugschiffchen in der Badewanne. Alles ist in Bewegung, nicht nur Stimmbänder und die Finger auf den Instrumenten. Es ist, als würden die Bilder über die Notenlinien gleiten. 1958 war die Welt noch in Ordnung – für 85 Minuten.
»Jazz an einem Sommerabend«, Regie: Bert Stern, USA 1958, 85 Min., Start: 5. August