Immergrün
Wilhelm Bode hat die Kulturgeschichte der Tannen geschrieben.
Die Tanne hat es nicht leicht. In der Romantik überhöhte man sie als Weltenbaum, an Weihnachten wird sie aufgrund ihrer grünen Gestalt meist schief besungen, und von der industriellen Forstwirtschaft wurde sie durch die Fichte ersetzt. Zeit also, sich mit der Kulturgeschichte der Tanne zu beschäftigen, die Wilhelm Bode in der ewig schönen Naturkunden-Reihe bei Matthes & Seitz veröffentlicht hat. Bode wurde 1947 in Westfalen geboren, ist Jurist, Diplom-Volkswirt und Initiator für die Bennung der deutschen Buchenwälder zum UNESCO-Weltnaturerbe. Er erzählt diese Kulturgeschichte entlang historischer Texte und Gemälde und deckt immer wieder die große Verwirrung zwischen Tanne und Fichte auf. So hat Gustav Klimt 1901 am Attersee geglaubt, er würde Tannen malen, erkannte aber den Wald vor lauter Bäumen nicht – es waren Fichten. Und auch die Schwarzwälder Biermarke »Tannenzäpfle« zeigt bis heute auf seinem Etikett einen Zweig mit hängenden Fichtenzapfen. Im hinteren Teil des Bandes gibt es dann Nachhilfe in Sachen Nadelbäume – hier werden verschiedene Arten Tannen, Fichten und Douglasien verglichen.
Wilhelm Bode, Judith Schalansky (Hg.): Tannen. Ein Porträt,
Naturkunden Bd. 67, Matthes & Seitz, 155 Seiten, 20 Euro
Wo die Flamingos frühstücken
Mutti, Vati, Oma – und eine Runde Eisenbahn. Einen Ort für Familien-Folklore ist er eigentlich bis heute, der Dortmunder Westfalenpark. Denn der Ende des 19. Jahrhunderts gegründete »Volkspark« ist mit seinen etwa 70 Hektar nicht nur einer der größten innerstädtischen Grünanlangen Europas, sondern so etwas wie eine Zeitkapsel: Noch immer werden im Turmrestaurant des »Florian« Runden gedreht, Gäste in luftigen Höhen auf einer Seilbahn umher geschickt oder aufs richtige Gleis gesetzt – in der parkeigenen Miniaturbahn. Die heutige Altenakademie von Will Schwarz – ein Kleinod der 50er Jahre. Das Sonnensegel von Günther Behnisch – ein Stück Architekturgeschichte. Die riesigen Fässer auf dem Wasserspielplatz – seit Jahrzehnten unverändert. So ist es kaum verwunderlich, dass der schöne Sammelband der Architekturhistorikerin Alexandra Apfelbaum und des Grafikers Alexander Bayer eine kleine Liebeserklärung ist: mit Essays, Erinnerungen und vielen aktuellen und historischen Bildern.
Der Park, Kettler Verlag, 200 Seiten, 19,80 Euro
Von Erdgeruch und Ameisenhügeln
Eigentlich hatte es Harry Martinson aufs Meer verschlagen. 1920, im Alter von 16 Jahren, heuerte der Schwede auf einem Schiff an und arbeitete viele Jahre als Heizer auf See. Lungenkrank kehrte er zurück und zog in die Nähe von Stockholm. Regelmäßig wanderte Martinson fortan durch die schwedischen Wälder und Felder. Was er dort sah und erlebte, hielt er in zahlreichen Romanen, Gedichten und Berichten fest. Mit »Schwärmer und Schnaken« liegen im Guggolz Verlag nun einige seiner Naturessays in deutscher Übersetzung vor. In poetisch-sinnlicher Sprache schreibt er darin über Fichten, Mistkäfer, Singdrosseln und Ameisenhügel. Und darüber, wie es im Wald nach einem Sommergewitter riecht: »Wie der aufreizend schwüle Qualm in einem mit Honig gefüllten Bienenstock.« Die Natur ist für den Schriftsteller zwar oft ein Ort des Rückzugs und des Trosts – aber keine reine Idylle. Vielmehr betrachtet er sie als Spiegelbild seiner selbst und der Welt, in der er lebt: »Eintagsfliegen sind zu betrachten als kleine schwebende Verkörperungen von Wehmut angesichts der Vergänglichkeit aller Geschöpfe, Nuancen, Düfte und Ahnungen.« Auch ökologische Themen greift Martinson auf. So reflektiert er etwa die Auswirkungen der fortschreitenden »Hypermoderne« auf Wasservögel, Hummeln und Wiesenblumen. Ein feines, nachdenkliches Buch über die Natur, das bei der nächsten Wanderung einen Platz im Rucksack bekommen sollte.
Harry Martinson: Schwärmer und Schnaken, Guggolz, 219 Seiten, 22 Euro
Geheimnisse des Waldes
Dies ist die Geschichte von drei alten Männern. Was harmlos klingt, wird in Jocelyne Sauciers Roman »Ein Leben mehr« zu einer fesselnden Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verlust – und die Natur. Denn Charlie, Tom und ein gewisser Boychuck haben sich in die Wildnis der nordkanadischen Wälder zurückgezogen. Dort wohnen sie in kleinen Hütten, rauchen Tabak und versorgen sich größtenteils selbst. Aber warum haben sie sich für die Einsamkeit entschieden? Müssen sie sich verstecken? Und was haben sie mit den »Großen Bränden« zu tun, die Anfang der 1920er Jahre die Wälder Ontarios vernichteten und bei denen viele Menschen starben? Nach und nach entfaltet Jocelyne Saucier in ihrem kurzen Buch eine große Erzählung über die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung. Am Ende des Romans werden vielleicht nicht alle Fragen beantwortet. Aber so viel sei verraten: Die drei alten Männer bekommen eines Tages unerwarteten Besuch. Von einer Frau.
Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr, Insel Verlag, 192 Seiten, 10 Euro
Ein Findling auf der Lichtung
Eigentlich ist der Wald jenseits der Brombeerhecke für Skalde streng verboten. Doch das Mädchen hält sich nicht länger an die Regeln ihrer Mutter. Immer wieder wagt sie sich vor, sammelt Kiefernzweige, legt sich zwischen die Baumwurzeln. Denn »der Wald stand, als hätte er all die Jahre auf mich gewartet.» Es ist eine düstere Welt, die Helene Bukowski in ihrer Dystopie »Milchzähne« in knappen, glasklaren Sätzen schildert. Die Sonne glüht, Vögel fallen vom Himmel, die Menschen haben Hunger. Auch Skalde und ihre Mutter leiden unter den Lebensbedingungen. Sie wohnen fern jeder Zivilisation in einem abgelegenen Dorf, schlagen sich so durch, gehören als »Fremde« aber nie richtig zur Gemeinschaft dazu. In dieser bedrohlichen Kulisse wird der Wald für Skalde zu einem Schutzort: »Wäre es möglich, den Wald zusammenzufalten und einzustecken, ich hätte ihn in der Manteltasche verstaut.« Doch eines Tages findet sie auf einer Lichtung ein Kind – und ihr Leben gerät vollends aus den Fugen.
Helen Bukowski: Milchzähne, Aufbau Verlag, 256 Seiten, 10 Euro
Mit Axt und Säge
Dass Birkenholz so luftdurchlässig ist, dass Kinder Seifenblasen damit machen können, ist eine der vielen erstaunlichen Informationen in diesem Buch: Überhaupt – wer hätte gedacht, dass sich satte 200 Buchseiten so unterhaltsam über das »Fällen, Hacken und Feuermachen« füllen lassen? Lars Mytting ist Norweger und deshalb wohl etwas näher am Wald und dessen Verwertung dran. Wie Brennholz richtig gestapelt wird, dass es auf jeden Fall bereits im Frühjahr geschlagen werden sollte, welche Säge und Axt zu verwenden sind und wie schließlich das Feuer wirklich fachkundig entzündet wird – auch wer in seinem ganzen Leben keinen Baum eigenhändig fällen wird, findet hier Informationen, die auf jeder Party den Small-Talk wieder in Gang bringen. Am Grill einfach mal erwähnen, dass der 2004 verstorbene Bildhauer Nils Aas in seinen freistehenden Brennholzskulpturen das Stapeln zur Kunst erhob und sogar ein eigenes Museum hat. Den Titel des Buches sollten Frauen mit Vorliebe für schweres Gerät einfach ignorieren und beherzt die Axt selbst anlegen – Karo-Hemd und Jeans stehen auch der Holzfällerin.
Lars Mytting: Der Mann und das Holz – Vom Fällen, Hacken und Feuermachen, Insel Verlag, 11 Euro
Wolkenkuckucksheime
Nein, das, was da leuchtend und mit ausgefahrener Leiter zwischen den Bäumen hängt, ist kein Ufo. Sondern ein Baumhaus in bester Flugobjektform, täuschend echt zwischen die Stämme geschraubt. Das Gebäude hat so gar nichts gemein mit einfachen Baumhäusern der Kindheit, jenen Rückzugsorten, die zwar wenige Meter über den Boden hingen, aber ohne Leiter weder für Eltern oder doofe Nachbarskinder erreichbar waren. Das spektakuläre »Ufo« gehört zu den schönsten und visionärsten Bäumhäusern, die im Bildband »Tree Houses« versammelt sind. Ob schlicht und modern, wie das »cabin tree hotel«, das scheinbar frei zwischen den schlanken Stämmen eines schwedischen Waldes schwebt, bis zu klassisch-rustikalen Entwürfen wie der »temple of the blue moon« im Bundesstaat Washington, der über eine prima Hängebrücke verfügt rund um einen massiven Baum gebaut ist, der aus dem Dach ragt. Schicke Wolkenkuckucksheime. Auch für die Großen.
Philip Jodidio: Tree Houses. Baumhäuser, Taschen Verlag, 544 Seiten, 16 Euro