Fakten will er schaffen. Er wünsche sich, so sagt es Stephan Keller, spätestens bis zum Ende seiner Amtszeit »einen unumkehrbaren Beschluss«. Und so fackelt Düsseldorfs Oberbürgermeister nicht lange herum. Kaum hat die digitale Sitzung zur Zukunft der Deutschen Oper am Rhein begonnen, fällt es gleich. Das Wort »Neubau«. Am liebsten in »Innenstadtlage«, so kündigt es Keller an. Denn seit Jahren ist die Zukunft des etwas ungeliebten, aber gleichwohl unter Denkmalschutz stehenden Nachkriegsbaus ungewiss.
Das heutige Haus, das nach enormen Kriegsschäden von Paul Bonatz 1954 bis 1956 wieder aufgebaut wurde, erfülle, so Keller, die Vorstellungen von einer modernen Oper nicht. Im Kern sei es »1875 als Stadttheater gebaut worden«. Dabei taugt das Baujahr allein als Argument natürlich kaum: In Bayreuth, München oder Wien wird in teilweise weit älteren Häusern an der Zukunft der Oper gearbeitet. Das Problem ist eher: Zu hermetisch und zu bescheiden kommt das derzeitige Haus daher, um Düsseldorf Glamour zu verleihen. Und in der Tat finden sich in der Umgebung einige Theater von ganz anderem Format – hochkarätige Bühnenhäuser von Alvar Aalto in Essen, von Werner Ruhnau in Gelsenkirchen und Münster. Sogar Gerhard Graubners Bau in Krefeld hat mehr Verve – und irgendwann vielleicht auch mal wieder Wilhelm Riphahns Oper in Köln, die seit Jahren dauersaniert wird.
Zudem ist die Düsseldorfer Oper marode. Seit langem schon. Die letzte größere Sanierung samt Modernisierung der Bühnentechnik kostete 2006/2007 die Stadt noch 31 Millionen Euro. Beseitig wurden damals die Mängel aber nur zum Teil. Allein in den vergangenen drei Jahren wurden über 10 Millionen Euro in den Bau gesteckt, buchstäblich dafür, dass dem Publikum nicht die Decke auf den Kopf fällt. Große Teile der Haustechnik, Leitungen, Heizung und Brandschutz sind immer noch drängende Probleme.
Was also würde es kosten, die Oper weiter zu sanieren, umfassend? Auch dafür hat Stephan Keller Zahlen parat: 457 Millionen Euro müsste die Stadt dafür aufbringen, rechnet der OB vor, dazu käme das Risiko erheblicher Kostensteigerungen, das bei so einem Unterfangen immer besteht. Schnell wird klar, dass er persönlich andere Möglichkeiten favorisiert: Um die fehlenden Funktionen des Hauses zu ergänzen – eine zweite Seitenbühne, eine zusätzliche kleine Spielstätte für Kinderoper und Gastronomie fehlen – müsste angebaut werden. Zwischen 612 und 650 Millionen Euro und einen Teil des Hofgartens würde das kosten. Ein Abriss und Neubau an gleicher Stelle hat die Stadt auf 716 Millionen Euro beziffert. An einem anderem Ort hält Keller einen Neubau für 636 Millionen Euro möglich, allerdings zuzüglich der Kosten für das Grundstück. Schicker Nebeneffekt: Düsseldorf könnte sich dann vielleicht mit einer neuen Architektur-Ikone schmücken.
Hinzu kommt, dass der OB sich ein offenes Haus wünscht. Einen Begegnungsraum auch für Ausstellungen und ganztägige Bildungsangebote – wie in Oslo oder Athen. Die Folgekosten, die durch solche Öffnungen entstehen, lässt der Politiker in seiner Präsentation allerdings außen vor. Es wird Aufgabe der Architekt*innen sein, durch kluge Erschließungen den multifunktionalen Betrieb bezahlbar zu halten, ohne dem Kulturbau die Anmutung einer Shoppingmall wie beim Konzerthaus Dortmund zu geben. Ein weiterer Haken: Um nicht zusätzlich Grünfläche zu bebauen, müsste ein Neubau an dieser Stelle rund 60 Meter in die Höhe wachsen. Das Stapeln von Funktionen schafft aber gerade im Theaterbau zusätzliche logistische Probleme.
Ende 2021 soll der Prozess so weit sein, dass ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden kann. Vorgeschaltet: ein Beteiligungsverfahren der Bürger*innen. Auf Basis der Ergebnisse werde dann eine »politische« Entscheidung im Herbst getroffen, sagt Keller. Wie viel da die Stadtgesellschaft wirklich mitreden darf? Und was passiert, wenn die Düsseldorfer*innen doch eine ganz andere Vorstellung von der Zukunft ihrer Oper haben als der Oberbürgermeister, der Rat und die Intendanz? Als »charmantes Juwel aus den 50er Jahren am Rande der Altstadt« wird das Bühnenhaus auf der Internetseite der Deutschen Oper am Rhein beschrieben. Noch.