Die künstlerische Geschäftsführerin Bettina Wagner-Bergelt und ihr kaufmännisches Pendant Roger Christmann bleiben im Bergischen bis Sommer 2022.
kultur.west: Frau Wagner-Bergelt, warum diese Entscheidung? Sie hatten sich doch schon darauf gefreut, nach München zurückzukehren.
WAGNER-BERGELT: Ja, aber mittlerweile fühlt sich die Entscheidung gut an, weil sie einstimmig gefallen ist – auch beim Ensemble. Wir haben gemeinsam einen Weg beschritten und vieles angestoßen, was wegen Corona noch nicht zu Ende geführt wurde. So können wir noch einige Pflöcke einschlagen.
kultur.west: Eigentlich sollte bereits 2020 eine neue künstlerische Leitung für das Tanztheater Wuppertal präsentiert werden. Warum ist das so schwer? Es gab immerhin 30 internationale Kandidaten.
WAGNER-BERGELT: Es ist ja eine sehr besondere Aufgabe. Das Tanztheater Wuppertal ist wahrscheinlich das einzige Ensemble, das nach einem künstlerischen Leiter sucht, der selbst schöpferisch tätig ist und sich zu 70 Prozent um das Werk einer Jahrhundert-Choreografin kümmern muss. Dabei geht es ja nicht darum, es einfach auf die Bühne zu bringen, sondern darum, nach Wegen zu suchen, mit diesem Erbe umzugehen. Für kreative Köpfe, die gerade dabei sind, eine eigene Karriere aufzubauen, ist es ein riesiger Zeitverlust.
kultur.west: Aber es gab ja diese 30 Kandidaten…
WAGNER-BERGELT: Das stimmt. Sie wissen ja, dass wir einen mehrstufigen Auswahlprozess mit dem Ensemble durchlaufen haben. Dabei stellte sich immer wieder heraus, dass die Vorstellungen doch auseinandergingen. Deshalb gibt es jetzt eine andere Struktur: Wir suchen nach einem künstlerischen Leiter, der eine ähnliche Expertise hat wie ich, also Dramaturg und Kurator mit Leitungserfahrung mit einem großen Ensemble ist. Diese Mischung gibt es auch nicht so oft. Außerdem suchen wir einen choreographer in residence. Diese Person kann sich mit dem eigenen künstlerischen Werk und dem Erbe von Pina Bausch beschäftigen und muss sich nicht um die Alltagsgeschäfte kümmern. Ich finde diese Trennung der Aufgaben sehr sinnvoll, denn es gibt ja ein enormes Pensum, das zusätzlich zu leisten ist.
kultur.west: Was meinen Sie damit konkret?
WAGNER-BERGELT: Ich denke an die Zusammenarbeit mit der Stiftung und die Übergaben von Pinas Werk, die auch das Ensemble leistet, zusammen mit ehemaligen Tänzern. Und dann noch die Vorbereitung des Pina Bausch Zentrums, eine riesige, spannende Aufgabe. Man muss sich überlegen, wie man klug seine vier Säulen einmal miteinander verschränkt – das Ensemble, das Archiv, das internationale Produktionszentrum, ein attraktiver Ort für die Bürger in Wuppertal. Es gibt ja auch künstlerische Herausforderungen, die mich schon vor zwei Jahren gereizt haben: Bausch-Stücke und -Themen von jungen Choreografen bearbeiten zu lassen als Kommentar oder als Neuschöpfung. Man könnte »Kontakthof« wie ein Libretto nehmen und mit jungen Leuten und deren Verhalten auf die Bühne bringen. Oder auch das Thema Altern im Tanz.
kultur.west: Das ist ja beim Tanztheater Wuppertal ständig präsent. Das Ensemble steckt mitten im Transformationsprozess.
WAGNER-BERGELT: Genau. Es gibt da viele Themen, die in einem spannungsvollen Verhältnis zu Pina Bausch aufgebaut werden und einen anderen Choreografen oder einen interdisziplinär arbeitenden Künstler reizen könnten. Wir arbeiten ja gerade mit Anish Kapoor zusammen, der für Richard Siegals neues Stück eine zentrale Arbeit zur Verfügung stellt. Das ist eine neue Dimension – dieser Kosmos, in dem sich ein bildender Künstler bewegt. Da will ich noch weiterarbeiten.
kultur.west: Diese Intendanz ist eine sehr prominente Stelle in der Tanzwelt. Normalerweise werden solche Positionen nicht ausgeschrieben, sondern es wird jemand ausgeguckt und gezielt angesprochen. Aber in Wuppertal gibt es ein komplexes, demokratisches Auswahlverfahren. Warum so kompliziert?
WAGNER-BERGELT: Ich denke, es hat mit der Vorgeschichte zu tun. Nicht nur ich wurde von der Stadt ausgesucht und das Ensemble mit mir überrumpelt. Es hat natürlich zu Komplikationen geführt, ich brauchte lange, um sein Vertrauen zu gewinnen. Deshalb haben der Aufsichtsrat und alle miteinander beschlossen, dass wir es diesmal in einem gemeinsamen Prozess machen. Und ich glaube, jetzt hat das Ensemble richtig Lust auf eine neue Ära.
kultur.west: Was wollen Sie in der kommenden Spielzeit noch anpacken? Die Premiere von »Das Stück mit dem Schiff« steht zum Beispiel noch aus…
WAGNER-BERGELT: Ja, genau. Richard Siegals Stück hat Uraufführung im November, Rainer Behrs Arbeit im Juni. Es stehen – hoffentlich – einige Gastspiele an, zum Beispiel »Blaubart« in Paris. Außerdem möchte ich als große Wiederaufnahme »Kontakthof« für alle Generation realisieren. Wir haben begonnen, die Zusammenarbeit mit der Folkwang Hochschule zu intensivieren. Und ich habe das Projekt angestoßen, Tänzerinnen der älteren Generationen in die deutschen Tanzakademien als Lehrbeauftragte zu schicken. Denn viele Studenten wissen dort so gut wie nichts über die Kunst von Pina Bausch. Gerade wurden die ersten eingeladen nach Mannheim, Dresden und München. Es ist ein bisschen absurd, dass wir mit der Juilliard School in New York und in Afrika arbeiten, aber nicht mit den deutschen Ausbildungsinstituten.
Bettina Wagner-Bergelt
Die Tanzmanagerin und Kuratorin, Jahrgang 1958, stammt aus Ostwestfalen. Sie studierte Germanistik, Film- und Theaterwissenschaften in Köln und Berlin. Ihre beruflichen Stationen waren das Theater am Turm in Frankfurt/Main, das Kulturreferat München und das Bayerische Staatsballett von 1990 bis 2017. Als stellvertretende Direktorin war sie dort der akademisch-klassischen Tanzkunst verbunden, baute aber zeitgleich ein modernes Repertoire auf. Das Münchner Ensemble durfte als eines der ganz wenigen weltweit mit »Für die Kinder von gestern, heute und morgen« ein Werk von Pina Bausch nachtanzen. Die Einstudierung diente Wagner-Bergelt sicher als Empfehlung: Denn im schwebenden Rechtsstreit zwischen dem Tanztheater Wuppertal und Noch-Intendantin Adolphe Binder wurde sie im November 2018 zur Nachfolgerin auf Zeit designiert.