Er hatte im März 2020 eigentlich anderes vor. Wie wir alle. Ralf Königs Stifte lagen schon bereit für die Produktion eines neuen Comic-Bandes, der die kontroversen Themen unserer Tage aufgreifen sollte – Political Correctness, gendergerechte Sprache. Alte, queere, weiße Männer. Stattdessen: Lockdown im schönsten Frühling, das Land musste kollektiv auf die Couch. Der geplante Inhalt erschien Ralf König für die kommende Zeit erstmal als weniger relevant, schließlich gab es nur noch ein Thema: Corona. In seiner Ratlosigkeit postete er auf Facebook einige schnell hingekritzelte Cartoons über das schwule Kölner Paar Konrad und Paul. Die Reaktionen darauf waren begeistert und von Likes umflattert. »Ich bekam durch die allgemeine Ausbremsung einen bemerkenswerten kreativen Arschtritt« hat er im Vorwort seines neuen Bandes »Vervirte Zeiten« notiert.
Im Zeitraum vom 18. März bis 21. Oktober 2020 zeichnete König täglich vier Panels, die sich mit der gegenwärtigen Situation mit Blick auf Konrad und Paul beschäftigten. Kein lange durchdachter Plot, sondern spontan auf das aktuelle Tagesgeschehen reagierend, beeinflusst durch die Nachrichtenlage und Social-Media-Kommentare. Der einzige Spannungsbogen und Running Gag ist das immer weiter eskalierende Anschmachten des heißen Filialleiters Baller aus dem Rewe-Markt an der Subbelstraße durch Paul, seines Zeichens Science-Fiction-Autor der »Barry Hoden«-Romane. Während draußen Köln und die Welt vor sich hin coronieren, steht für ihn der vermeintlich unerreichbare Supermarkt-Schnuckel im Mittelpunkt des Interesses. Sein Partner Konrad, der Pianist, ist da der ruhende und mahnende Gegenpol.
König ringt diesen »Vervirten Zeiten« den nötigen Humor, Wortwitz und angewandte Albernheit ab. Man sieht Konrad und Paul oft auf der Couch oder vor dem Computer sitzen, mit den anderen Protagonist*innen sind sie mit Telefonen und Webcams verbunden. Wie ihre Fetischfreunde Max und Oguz, die kurzerhand mit ihren Ledermasken an der Fleischtheke 200 Gramm grobe Leberwurst bestellen. Die Nerven liegen zunehmend blank, was sich auch in der Schriftdicke und in den Ausrufezeichen der Sprechblasen niederschlägt. Klopapiere werden gehortet, die Hormone randalieren durch Pauls Inneres, ein Bekannter erliegt zunehmend Verschwörungstheorien und die Leser*innen warten sehnlichst darauf, endlich mal den heißen Herrn Baller vom Rewe zu Gesicht zu bekommen.
Nicht wenige fürchteten sich 2020 vor einer grassierenden Flut von Corona-Tagebüchern von Leuten, die auf einmal zu viel Zeit haben. Ralf König zeigt, dass so etwas trotzdem hervorragend funktionieren kann, wenn man mit der richtigen Lässigkeit ans Werk geht. Apropos ziemlich lässig: Momentan arbeitet er an einem Lucky-Luke-Hommage-Album im könig-typischen Zeichenstil. »Zarter Schmelz« soll es heißen und im Sommer erscheinen.
Ralf König: »Vervirte Zeiten«, Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 24 Euro