Anfang 2018 vermeldete Town & Country 30.000 gebaute Häuser. Viele davon tragen ihr »Flair« im Namen und danach schlicht eine Nummer, die der Wohnfläche in Quadratmetern entspricht. Auch wenn das »Flair 113« im vergangenen Jahr nicht mehr das meistverkaufte Modell des 1997 gegründeten Unternehmens war, sondern vom »Flair 152« überholt wurde, ist es mit insgesamt rund 7000 gebauten Exemplaren immer noch das am häufigsten in Deutschland anzutreffende Einfamilienhaus. Wer in einem beliebigen Neubaugebiet in Stadtrandlage zwischen Industriegelände und Feldern unterwegs ist, wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit begegnen. Auch wenn es oft nicht sofort zu erkennen ist. Zur Vorderseite gibt sich das »Flair 113« vor allem bescheiden und etwas verschlossen mit dem steilen Satteldach über einem Erdgeschoss mit Tür und Fenster, zur Rückseite reckt sich eine Dachgaube mit zwei Fenstern symmetrisch über der Terrassentür auf.
Seit etwas über zehn Jahren bewohnt Familie Roepers ein Exemplar »113« in einem Ort an der Grenze zwischen Ruhrgebiet und Sauerland. Eher untypisch ist, dass das Haus in einem gewachsenen Einfamilienhausviertel neben anderen aus den 1920er bis 1960er Jahren steht. Bevor sie sich entschloss, ein eigenes Haus zu bauen, lebte die Familie nur wenige Straßen weiter in einer Genossenschaftswohnung zur Miete. Auch das ist untypisch: keine Stadtflüchter. Man habe »schon eine ganze Zeit ein Haus gesucht, aber keine passende Bestandsimmobilie für unsere Zwecke gefunden«, erzählt Frau Roepers, »dann gab es dieses Grundstück. Ursprünglich war das mal der Garten des benachbarten Hauses. Ein riesiger wunderschöner Obstgarten, der dann in zwei Parzellen Bauland geteilt wurde.« Die Roepers entschieden sich, mit Town & Country zu bauen. Der Plan einer Unterkellerung musste aus finanziellen Gründen aufgegeben werden, weil das Grundstück zu felsig ist. Für drei bis vier Personen sei das Haus absolut ausreichend, ist Frau Roepers überzeugt, als dann allerdings ihr drittes Kind kam, wurde es eng, der Dachboden ausgebaut und zum Elternschlafzimmer, so dass nun für jedes Kind ein Kinderzimmer da ist und sogar noch ein Gästezimmer im Erdgeschoss. Neben den bezahlbaren Baukosten von rund 150.000 Euro ist es diese Flexibilität der Grundrisse, die von den Bewohnern des »Flair 113« stets hervorgehoben wird.
Im Neubaugebiet vor der Stadt
Üblicherweise findet sich das »Flair 113« eher im reinen Neubaugebiet vor der Stadt. Dort wo Menschen sich ihren Traum vom Eigenheim noch leisten können, wohin sie ziehen, weil in der Stadt entweder kaum noch bezahlbarer Wohnraum zu haben ist oder wenn, dann nur in Vierteln, in denen man Kinder nicht aufwachsen lassen möchte. In seinem Buch »Wohnkomplex« verweist der Architekturkritiker Niklas Maak darauf, dass die Vorstellung vom Eigenheim im Grünen, die sich genauer betrachtet meist kaum einlöst, weil die Häuser sich dicht an dicht in den Siedlungen drängen und statt eines Baumes Autos für das Pendeln in die Stadt platziert sind, nicht so naturgegeben sei, wie sie oft dargestellt werde. Jede Bausparkassen-Werbung zeigt genau dieses Bild, der Begriff »Eigenheimzulage« ist fest mit dem kleinen Häuschen verbunden; kaum jemand denkt beim vielbeschworenen Wohneigentum als Altersvorsorge an eine Eigentumswohnung in der Stadt.
»Könnte es sein, dass Kinder bis zu dem Moment, wo sie ein Haus mit Spitzdach malen können, unendlich viele Spitzdachhäuser in Kinderbüchern, Playmobilstädten und auf Zeichnungen ihrer Kindergärtnerinnen gesehen haben, dass diese Chiffre also nicht angeboren, sondern erlernt ist?«, fragt Maak. Sind die Vorstellung vom Wohnen und der architektonische Geschmack eine frühkindliche Prägung, die zeitlebens kaum hinterfragt wird? Oder wird sie durch die ökonomischen Interessen der Bauwirtschaft zementiert? Das genormte Einfamilienhaus verspricht mit die beste Gewinnspanne. Ganz sicher ist die Vorstellung von der idealen Wohnform keine angeborene. Das zeigt schon ein Blick zu unseren Nachbarn in den Niederlanden, wo das Reihenhaus wesentlich verbreiteter ist als das freistehende. Wohl vor allem deshalb, weil dort das Bewusstsein für die Begrenztheit der verfügbaren Fläche höher ist als bei uns.
Mit dem Auto in die Stadt
Trotz des vielbeschworenen Trends zurück in die Stadt, weil die urbane Infrastruktur an Wertschätzung gewinnt, behauptet das Einfamilienhaus im Grünen beharrlich seine Vormachtstellung. Dabei ist es ökologisch nicht sinnvoll, weil das Mehrfamilienhaus in der Energiebilanz und beim Ressourcenverbrauch sich überlegen zeigt. Dazu kommt das Problem der zunehmenden Flächenversiegelung im ohnehin dichtbesiedelten Deutschland, sowohl durch die Häuser selbst, als auch die zusätzlichen Erschließungen in entlegene Baugebiete. Oftmals ist es sogar für die Bewohner ökonomisch kaum von Vorteil, wenn sie aufs Land ziehen und mehrmals täglich mit dem Auto in die Stadt fahren müssen. Auch gegen die Verödung des Landes helfen die Einfamilienhaussiedlungen wenig. Die Neubürger nutzen kaum die örtliche Infrastruktur, weil sie selbst ins nächste Dorf nicht unmotorisiert kämen. Statt beim Bauern vor Ort wird lieber gleich der Einkauf im Shoppingcenter erledigt, statt in der Dorfwirtschaft den Abend zu verbringen, wird zum Feierabendbier in die nächste Stadt gefahren.
»Flair 113« ist daran nicht schuld. Es ist nur ein Haus, das genau so aussieht, wie das Haus aus der Werbung oder auf der Kinderzeichnung. Es befriedigt für viele basale Idealvorstellungen von Wohnen und Sicherheit. Das Spitzdach, die Gaube als kleines Extra, eine Terrasse zum Garten. Mehr nicht. Eine aufs Nötigste reduzierte Grundform. Das von Architekten oft mit Verachtung gestrafte Spitzdach signalisiert Bodenständigkeit, während Flachdächer eher als exaltierter Modernismus oder funktionalistisch empfunden werden.
Das Haus der Roepers zeigt, dass die formale Schlichtheit durchaus eine Qualität sein kann. Es passt sich unauffällig in die Umgebung ein. Während die Nachbar-Häuser mit Elementen des Zeitgeschmacks ihr Baujahr preisgeben, ist das »Flair 113« von Zierrat befreite Zeitlosigkeit, die nicht stört, sich jeder Umgebung zurückhaltend unterordnet. Die Vorderseite des Hauses mag Frau Roepers nicht so. Das hat vor allem mit der Beton-Treppe zu tun, die zum Eingang hoch führt, weil die Hanglage des Grundstücks einen Sockel erfordert. Aber dass es in fast jedem Zimmer zwei Fenster gibt, die das Innere hell und freundlich machen, ist ihr wichtig. Und überhaupt lebe man ja eher im Haus, als dass man es von außen sehe, sagt sie. So spricht sie, wenn es um ihren Geschmack geht, auch meist vom Inneren, von Praktischem. Ihr Mann wollte eine offene Küche, sie war dagegen und setzte sich durch, weil sie den Essensgeruch nicht im Wohnzimmer haben wollte. Dass die Küche nach hinten heraus liegt und nicht wie üblich nach vorn, war ebenfalls die Idee von Frau Roepers, weil sie so beim Kochen die spielenden Kinder im Garten im Blick haben kann. Dann kommt ihr doch noch etwas in den Sinn, was sie generell an Häusern mag. Erker und Wintergärten findet sie schön und wünscht sich auf der Terrasse vielleicht irgendwann einen.
Zitronengelbe Fassade, blau glasierte Dachpfannen
Widerspricht die massenhafte Normierung eines Hauses dem Wunsch nach Individualität? Frau Roepers hat kein Problem damit, dass sie im beliebtesten Einfamilienhaus Deutschlands lebt. Es sei auch nicht so, dass sie ständig überall ihr Haus stehen sehe. Auch das hat mit der Reduzierung der Form zu tun. Der Mangel an architektonischer Eigenständigkeit macht das »Flair 113« leicht individualisierbar, weil schon kleine Veränderungen die Gesamterscheinung beeinflussen. »Wir haben unser Haus weiß gelassen, weil sich das hier besser einpasst«, sagt sie. Die Nachbarn bevorzugten ein auffälliges Zitronengelb, blau glasierte Dachpfannen und haben das Holztragwerk des Daches weiß gestrichen. Bei Roepers ist es naturbelassen. Im Programm von Town & Country ist eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Individualisierung angelegt, von verschiedenen Fensterrahmen und Eingangstüren über diverse Anstrichvarianten bis zur verklinkerten Fassade. Das »Flair 113« ist an sich viel zu belanglos, um guter oder schlechter Geschmack zu sein. Oder um den berühmten Werbespruch der Beton-Industrie zu bemühen: »Es kommt immer darauf an, was man daraus macht.« Wohnen lässt es sich zumindest darin.