Poly: Herr Lobbes, wann und warum hat in Dortmund die Erkenntnis eingesetzt, dass die Stadt eine »Akademie für Theater und Digitalität« braucht?
Marcus Lobbes: Kay Voges, der von 2010 bis 2020 Intendant des Theater Dortmund war, hat in seinen Regie-Arbeiten festgestellt, dass an den Bühnen im deutschsprachigen Raum ein Mangel herrscht, was die Anwendung von digitalen Technologien angeht. Dafür braucht man nicht nur mehr Zeit, sondern auch mehr Geld und Raum. Voges hat sich mit Kollegen aus dem Audiovisuellen- und IT-Bereich beraten, gemeinsam die Vision einer Akademie entwickelt und bei der Politik um Fördermittel geworben, um sie in einen künstlerischen Betrieb wie das Theater einzubinden. Im Sommer 2019 wurde die Akademie von der Stadt als sechste Theatersparte gegründet (mehr Hintergründe zum Dortmunder Hafenumbau finden Sie hier).
Poly: Was ist Ihre Aufgabe an der Akademie?
Marcus Lobbes: Digitalisierungsstrategien gibt es heute in allen Gesellschaftsbereichen. Wie sich das auch in der darstellenden Kunst anwenden lässt, ist mein Kernanliegen und Hauptarbeitsfeld.
Poly: Fehlt auf den Bühnen bislang das Verständnis für digitale Technologien?
Marcus Lobbes: Ja, das hat viel mit alten Strukturen zu tun. Am Theater wird beispielsweise seit Ewigkeiten mit Video gearbeitet, aber in den meisten Kostenstellen der Produktionen ist Regie-Bühne-Kostüm drin, sonst nichts. Bei Video wird es immer schwierig. Gleichzeitig sind das aber hochqualifizierte Kollegen, die in der freien Wirtschaft mehr verdienen würden und bis zuletzt an den Programmierungen arbeiten. Dafür braucht es mehr Bewusstsein. An einigen Häusern weiß man bereits, was das für einen Wert hat; woanders herrscht immer noch das Klischee, dass man irgendwelche Inhalte auf irgendeine Leinwand wirft.
Poly: Wie sieht so ein digitaler Theaterabend aus?
Marcus Lobbes: Wir als Akademie forschen nicht selbst, sondern laden Künstler sowie Techniker ein, Ideen aus der darstellenden Kunst mit den Möglichkeiten der Technologie zusammenzubringen. Das fängt bereits beim Publikum an, das viele Digitalisierungsprozesse gar nicht mitbekommt, wie die längst vernetzte Bühnentechnik. Was wir hier versuchen, geht von Audio-Ereignissen, die sich im Raum ganz anders positionieren können, über Bildbearbeitung bei Videoproduktionen mit Live-Kameras bis zum Coding für virtuelle Ausspielungen. Wir arbeiten mit künstlicher Intelligenz, mit Chat-Bots. Ein großes Thema sind Holographie-ähnliche Projektionen, dazu kommen Virtual- und Augmented-Reality-Technologien. Die spannende Frage, gerade auch in Zeiten von Covid 19 ist doch, wie schafft man mit diesen Techniken eine gemeinsam erfahrbare Umgebung für das Publikum mit einem Display oder einer VR-Brille?
Poly: Ein einfacher Stream reicht da nicht aus?
Marcus Lobbes: Durch Covid 19 konnten wir verfolgen, wie sich das Theater im Netz verändert hat. Aus den ersten Streamingversuchen entwickelten sich Formate, die ein größeres Theatergefühl erreichen sollten. Dass es etwa ein virtuelles Foyer gibt, wo sich Leute treffen oder einen Chatroom, in dem sie über die Veranstaltung sprechen können. Es gibt Forschungen, wie solche interaktiven Formate funktionieren könnten. Wir haben hier ein Projekt umgesetzt, bei dem man mit einem eigenen Avatar an der Vorstellung teilnimmt. Das ist ein wichtiges Thema – was für ein zusätzlicher Raum etabliert sich dabei zum analogen Theater? Den wollte die Akademie ja nie abschaffen, sondern erweitern, genauso, wie sich auch die Technik erweitert hat. Schon immer. Das fing damit an, dass die Menschen begannen, Häuser um die Freilufttheater zu bauen und später dort künstliches Licht hineinbrachten. Das halten wir heute für selbstverständlich. Wenn wir jetzt Formate für den digitalen Raum entwickeln, umso besser. Aber das wird immer nur ein Teil des Theaters sein, mehr nicht. Die Theater werden nicht verschwinden, auch nicht durch Covid 19.
Poly: Wer kommt zu Ihnen an die Akademie und wie wird dort gearbeitet?
Marcus Lobbes: Wir verstehen uns als kuratierende Einrichtung, schreiben unsere Stipendien international aus und lassen uns von Leuten, die dicht am Thema sind, Projekte vorstellen, die sie gerade erforschen. Eine deutschlandweite Jury, der wir auch angehören, entscheidet, welches Projekt in Frage kommt. Für die Stipendiaten gibt es nur zwei Pflichten – sie müssen zwei Drittel der Zeit in Dortmund verbringen und ihre Arbeit dokumentieren.
Poly: Sind also keine Theatervorstellungen in der Akademie selbst zu sehen?
Marcus Lobbes: Wir sind kein Ausspielbetrieb. Stattdessen gibt es die Formate »OpenHouse« und »OpenLabs«, bei denen wir die Akademie regelmäßig für das Publikum begehbar machen. Das sind keine klassischen Theatervorstellungen, man muss sich das eher wie einen Marktplatz vorstellen, auf dem man zwischen den Projekten umherläuft. Man kann mit den Stipendiaten sprechen, zumindest prototypisch Technologien ausprobieren und sehen, wie die Dinge funktionieren könnten, wenn man sie in bestimmten Zusammenhängen benutzen würde.