Von Aachen bis Wuppertal, von Kleve bis Bonn. Ganz groß feiert NRW 2021 den 100. Geburtstag von Joseph Beuys. Ausstellungen, Aktionen und Performances, Theater-, Musik- und Lehrveranstaltungen überall. Rund 20 Museen machen mit. Die beiden künstlerischen Leiter der Feierlichkeiten sitzen in Berlin: Eugen Blume, Beuys-Kenner und ehemaliger Leiter des Hamburger Bahnhofs. Und Catherine Nichols, die aus Australien stammt und 2003 ihre Faszination für den Künstler vom Niederrhein entdeckte. Gemeinsam konnten sie schon mehrere Ausstellungen zu Beuys realisieren, darunter die vielbeachtete Retrospektive 2008 in Berlin. Nach NRW kommen die beiden nun mit neuen Ideen. Denn in den letzten paar Jahren, so stellen sie fest, habe sich der Blick auf den Künstler verschoben.
»Es hat mit Veränderungen innerhalb der Gesellschaft zu tun«, sagt Nichols. Beuys habe sehr früh Dinge gedacht, die heute viel mehr Menschen brennend beschäftigen als noch vor einigen Jahren. Nicht so sehr um den Künstler im engeren Sinne wird es deshalb in den meisten Veranstaltungen gehen, eher um den Erfinder des erweiterten Kunstbegriffs, um den Utopisten: Fragen nach Demokratie, Ökologie, Ökonomie, den Begriff der Arbeit. Die Kollegen in den beteiligten NRW-Museen hätten die Themen ihrer Ausstellung selbst entwickelt, betont Nichols, doch dieser Ansatz sei ihnen gemein. »Wir merken, dass es etwas ist, das in der Luft liegt«.
Es gibt etliche Punkte, die im Rückblick erstaunlich weitsichtig wirken: 1967 bereits forderte Beuys beispielsweise einen Rechtsstatus für Tiere und Pflanzen. Wie der Mensch sollten sie eine schützenswerte Position in der Gesellschaft bekommen. Oder Beuys‘ Auftritt bei der Documenta 1972, wo er in seinem »Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung« 100 Tage lang mit Besuchern diskutierte: Jeder hatte eine Stimme, keine Frage war zu dumm. Beuys trat nicht mit einer festen Idee von Gesellschaft an, sondern sah die Lösung im Prozess, in der permanenten Konferenz, ohne Berührungsängste und offen für jedes Argument. Bezeichnend auch die großangelegte ökologische Intervention: »7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung«. 7000 kleine Eichen hat Beuys unter diesem Motto in Kassel gepflanzt: Seine »Soziale Plastik« würde perfekt ins Jahr 2021 passen.
Ein Beleg für Beuys‘ Aktualität ist sicher ebenso, dass sich in den für 2021 geplanten Ausstellungen allenthalben zeitgenössische Künstler zum Jubilar gesellen werden. Was hat Beuys den Jüngeren zu sagen? Auch in der Kunst gebe es aktuell eine starke Hinwendung zum Politischen, sagt Blume. »Wie kann man wirksam werden in politischen Prozessen, ohne Politiker zu werden? Wie kann man ein anderes Energiefeld einführen, was die Politiker nicht haben?« Fragen, die Beuys einst umtrieben, gerieten heute mehr denn je in den Fokus.
Es geht um eine von der Kunst her gedachte Einmischung in die politischen und ökonomischen Verhältnisse. Doch kommen neben zeitgenössischen Künstlern im Festprogramm auch andere Leute von heute vor. Menschen, die man im Sinne von Beuys als Künstler sehen kann, ohne, dass sie sich vielleicht selbst als solche beschreiben würden. Für Blume ist Greta Thunberg so eine Figur: »Diese Radikalität, die sie in der Durchsetzung ihrer eigenen Ideen hat – das ist eine Haltung, die mir durchaus verwandt scheint mit dem, was Beuys ein Leben lang gemacht hat.«