Das Virus schreibt eine ganz neue Welterzählung, meint Kathrin Röggla, die seit ein paar Wochen Professorin für literarisches Schreiben an der interdisziplinär ausgerichteten Kunsthochschule für Medien in Köln ist – ein idealer Arbeitgeber für eine Autorin, die schon lange »multimedial« unterwegs ist, die Romane, Hörspiele, Theaterstücke, Onlinetexte schreibt, in denen sie als engagierte Sprach- und Ideologiekritikerin unsere Zeit spiegelt. Entsprechend ist auch Rögglas erstes Thema für die KHM: »Ansteckung«. Das Interview möchte sie im Freien, auf ihrer Terrasse mit Blick auf einen leicht verwilderten Garten in ihrem neuen Zuhause in Köln führen. Hat sie eigentlich Angst vor der Ansteckung? Kathrin Röggla lacht.
RÖGGLA: Angst ist akut natürlich ein großes gesellschaftliches Thema, davon kann ich mich nicht ausnehmen. Im Gegenteil: Als Schriftstellerin bin ich eher disponiert für Schreckensszenarien und sehr empfänglich für eine Politik der Angst.
kultur.west: »Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Fantasie«, sagte Erich Kästner einmal. Sie haben die Hypochondrie zur Krankheit der Literaten erklärt.
RÖGGLA: Ja, aber Literatur ist für mich auch ein starkes Gegenmittel. Ich arbeite mich literarisch an der Angst ab.
Ágota Kristóf »Das große Heft«. Susan Sontags »Krankheit als Metapher«. Aber auch eine Dichterin wie Unica Zürn oder der Autor und Regisseur Rosa von Praunheim und seine Auseinandersetzung mit dem Aids-Virus bilden derzeit ihr intellektuelles Bollwerk gegen das Ungemach der Zeit. Tatsächlich ist die 1971 in Salzburg geborene Autorin Kathrin Röggla schon lange Expertin für Apokalypsen, Katastrophen, Dystopien. Bereits vor elf Jahren erschienen ihr Hörspiel und ihr Erzählband »die alarmbereiten« – eine präzise Inszenierung der medialen wie gesellschaftlichen Logik unserer Angstlust.
kultur.west: Erkennen Sie die Mechanismen von Krise und Panik, die Sie damals analysierten, heute wieder?
RÖGGLA: Es gibt schon gewisse Mechanismen, die Corona uns vorführt: Dieses Starren auf den Augenblick, unsere Gefangenschaft im Jetzt-Jetzt-Jetzt des Livetickers der Medien. Oder die Entstehung von Heldenmythen. Aber auch die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung und des Wiedererstarkens autoritärer Strukturen. Zugleich gibt es in der Pandemie einen wieder öffentlich herzeigbaren Gestus: Nämlich den Zweifel, zuzulassen. Man ist bereit zu akzeptieren, dass Experten nicht sofort alles wissen, dass Forschung und Wissenschaft auch Zweifeln bedeutet. Darüber gab es lange keine öffentliche Debatte. Und das ist etwas, das ich sehr gut finde.
»Ansteckung – über virale Praktiken in der Literatur und literarische Strategien im Zeitalter der Pandemie«. So lautet der Titel ihres ersten Seminars, das sie an der KHM gibt. Ansteckung – ein Phänomen so alltäglich wie gruselig. Sie erfolgt auf unsichtbaren Wegen: über Atmosphären, den Atem, Aerosole. Ohne, dass wir es merken, greift sie in unser System ein, verändert den Körper, die Wahrnehmung, das Denken.
RÖGGLA: Derzeit ist der Begriff stark besetzt vom Virus, was bedeutet: Ansteckung ist etwas Gefährliches, das es zu vermeiden gilt. Aber es gibt auch ein ganz anderes, viel positiveres Verständnis von Ansteckung, um das es mir im Seminar geht: Lachen ist ansteckend, Kunst kann ansteckend sein.
kultur.west: Also weg von der medizinischen hin zur ästhetischen Ansteckung? Was passiert in Ihrem Seminar?
RÖGGLA: Wir haben ganz konkret vor, eine Art Corona-Tagebuch zu schreiben. Wir möchten uns fragen, was es heißt, Zeitzeuge, Zeitzeugin zu sein und untersuchen, welche Verbindungen existieren, zwischen sprachlicher Ansteckung, Gerüchtekultur und dem Viralen. Was passiert mit unserem Zeitgefühl, warum wirken meine Aussagen von heute morgen vorgestrig?
kultur.west: Sind Seuchenzeiten eigentlich inspirierende Zeiten für Schriftsteller?
RÖGGLA: Ich weiß noch nicht, ob diese Zeit mich besonders inspiriert. Natürlich ist es eine spannende Zeit, weil Dinge passieren, die wir uns vor einem Jahr überhaupt nicht hätten vorstellen können. Wir erleben eine Zukunfts-Offfenheit – so bedrohlich sie ist, so bietet sie doch auch die Möglichkeit zu denken, dass wir unsere Gesellschaft künftig anders organisieren. Gleichzeitig finde ich es schwierig zu schreiben, weil sich Texte plötzlich anders lesen.
kultur.west: Was meinen Sie damit?
RÖGGLA: Ich arbeite zum Beispiel schon länger an einem Roman, in dem es um den NSU-Prozess in München geht. Aber das Weiterschreiben krankt derzeit daran, dass die Wirklichkeit sich so sehr geändert hat. Sich heute einen Gerichtssaal voller Menschen vorzustellen, wirkt fast schon obszön.
Schon irritierend, wie sehr die Pandemie unser Denken infiziert hat. Wie interessant plötzlich Statistiken für alle sind. Wie viele darüber grübeln, wo nun die Grenze zwischen berechtigter Sorge und verrückter Paranoia liegt. Das Virus schreibt eine neue Welterzählung, meint Kathrin Röggla.
RÖGGLA: Wir erleben die Situation mit Covid-19 auch als ein Brennglas auf soziale Verhältnisse: Plötzlich wird etwa das Innenleben der Fleischfabriken sichtbar, oder dass man endlich über Arbeitsmigration und Ausbeutungsverhältnisse diskutiert. Also die Erzählung einer Pandemie bedeutet immer auch einen präziseren Blick auf globale Verhältnisse und eben auch auf Machtverhältnisse, Herrschaftsverhältnisse.
So forscht Kathrin Röggla im Schrecken immer auch nach der Chance, nach dem Produktiven, das es in diesen Tagen doch irgendwie auch geben muss. Als Autorin, die gern am Puls der Zeit schreibt, ringt sie mit der Frage, was Literatur jetzt leisten kann und muss. Wenn Prognosen Konjunktur haben und die Wissenschaftler selbst zu Verfassern von Fiktionen werden – kann da ein langsames Medium wie der Roman der beschleunigten Gegenwart gerecht werden? Wer jetzt zeitkritische Bücher schreiben will, muss schon »Kassandra« spielen. Aber wenn eine das kann, dann wohl Kathrin Röggla.
Kathrin Röggla: die alarmbereiten, Roman, Verlag S. Fischer, 192 Seiten, 8,99 Euro
Kathrin Röggla: Nachtsendung. Unheimliche Geschichten, Erzählungen, Verlag S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro