Mischa Kuball verwandelte Hochhäuser in Lichtskulpturen, schickte eine erleuchtete Geisterbahn durch Kattowitz. Er installierte Hochleistungs-Scheinwerfer in der Synagoge Stommeln, brachte neue Kunst in die Ruhrgebietsstadt Marl und ließ Ruhrgebiets-Migranten im Fokus einer geschenkten Stehlampe ihre Geschichten erzählen. Ein Atelierbesuch.
Die Leuchtröhren unter der Decke geben ihr Bestes an diesem Novembernachmittag. Bis in die Ecken machen sie Mischa Kuballs Atelier knallhell. »Nur weil Ihr da seid«, bemerkt der Künstler. Er selbst ziehe natürliches Licht vor. Schon am frühen Morgen: Katzen füttern, Kaffee kochen… die Routine erledige er oft im Dunkeln. Bevor er joggend in den Tag startet. Schnell hat sich der 61-Jährige mit solchen Alltäglichkeiten warm geredet und wird in den kommenden zwei Stunden seinem Ruf des »begnadeten Kommunikators« gerecht. Natürlich auch wenn es um die Vermittlung der eigenen Werkideen geht.
Doch dazu erst später. Erst einmal geht es noch um Laufschuhe, die er geschenkt bekam,um Lieblingsrouten im Park und am Rhein. Kuball schwärmt von Vögeln, die in der Dämmerung plötzlich zu zwitschern beginnen. Auch seine Zwillingssöhne, die er vor 19 Jahre immer im Schummerlicht gewickelt habe, kommen zur Sprache. Offenbar schwört er auf die innere Uhr und vermeidet Manipulationen. Das Tageslicht reicht ihm auch bei der Arbeit im Atelier, das einer Bibliothek gleicht. Danach gefragt, seit wann er Bücher sammelt, erwidert er schnell: »Ich sammele keine Bücher, ich lese sie.«
An diese Behauptung wird man noch denken bei diesem Gespräch. Wenn der Professor für Medienkunst philosophische, theologische, historische Aspekte seines Mediums Licht anspricht, wenn er Soziologisches oder Neurologisches anschneidet. Nachts konsumiert er dagegen meistens ganz einfach Krimis neben einer Funzel, die gerade eben soviel Helligkeit spendet, wie er zum Lesen braucht. Der Besuch freut sich indes über den elektrischen Luxus, der den großen Tisch erhellt und mit ihm ein Buch, das Kuball nun zu sich herüberzieht. »Public Preposition«, so der Titel der fortlaufend erweiterten Publikation, die eine wachsende Werkgruppe gleichen Namens dokumentiert. Hunderte Exemplare habe er in den vergangenen Jahren gratis unters Volk gebracht – von Düsseldorf bis Ontario. In Marl stellte er sich 2015 mit einer performativen Skulptur aus 350 Gratis-Exemplaren auf den zentralen Creiler Platz. Nach wenigen Stunden reden, verteilen, signieren waren alle weg, bemerkt er und wird gleich darauf grundsätzlich: »Wir müssen uns klar machen – wenn wir von Kultur reden, können wir überhaupt nur einen kleinen Teil der Bevölkerung mitnehmen. 40 Euro für einen Ausstellungskatalog, 300 für den Familien-Abend in der Oper, das ist zu viel für die meisten.«
Deshalb mache er Projekte im öffentlichen Raum: Vor Jahrzehnten bereits hat Kuball erkannt, dass Licht für diese Art von Kunst das perfekte Material ist. Erstmals nutzte es spektakulär in seinen »Megazeichen«, die im Herbst 1990 das damalige Düsseldorfer Mannesmann-Hochhauses okkupierten. Allerdings erst nach Feierabend: In bestimmten Büros mussten die Mitarbeiter das Licht anlassen, um so auf den Fassaden leuchtende Muster zu formen, die wöchentlich wechselten. Nur weil alle mitgemacht haben, sei der Plan aufgegangen: Als mächtige Lichtskulptur dominierte das Haus über sechs Wochen die Skyline der Stadt.
Seither hat er weltweit allerhand erleuchtet und durchflutet, effektvoll angestrahlt oder verschattet, installiert, projiziert und lichttechnisch ausprobiert, dabei immer wieder das Publikum mobilisiert. Sogar mit Medizinern und Neurowissenschaftlern hat er zusammengearbeitet, um das Licht zu verstehen. Trotzdem wehrt er sich gegen die Bezeichnung Lichtkünstler, verständlicherweise. Gerhard Richter werde schließlich auch nicht als »Lacke- und Farben«-Künstler tituliert. Er selbst benutze Licht ebenso wie andere Mittel, weil er bestimmte Strategien damit verfolge.
In der Synagoge von Stommeln waren es 1994 erstmals klar gesellschaftspolitische Gedanken, die Kuball beleuchtete. In diesem Fall mit ein paar Hochleistungsscheinwerfern, die er im Inneren des entweihten Gotteshauses installierte. Mit voller Kraft strahlte es durch die Fenster nach draußen, wobei die Architektur gleißend der Auflösung entgegentrieb.Leuchtet die Synagoge oder brennt sie? So habe damals ein Kritiker überlegt und damit eine Idee formuliert, die Kuball sehr gut zu gefallen scheint. Kristallnacht, Flucht, Shoa… diese Themen klangen an im Haus, das mit seinem grellen Schein in die umliegenden Wohnungen eindrang. Doch zumindest zeitlich noch näher lagen all die Anschläge gegen ausländische Mitbürger – in Mölln, Rostock, Hoyerswerda… Ein wunderbares Beispiel, wie Kuballs besten Werke es schaffen, mit schlichten Mitteln ein Blitzgewitter an Assoziationen auszulösen.
»Meine These: Licht macht den Zustand unübersehbar«, so Kuball. Als würde einer rufen: Schau hin, hier passiert etwas. »Man kann dann nicht mehr sagen, ich habe das nicht mitbekommen. Es wird evident. Es hat eine eigene Selbstbehauptung.« Licht schafft also die Bühne: Spotlight on, das musst Du sehen? Kuball räumt ein, dass die Lichtinszenierung draußen, im öffentlichen Raum, mitunter etwas »holzschnittartig« rüberkomme. Im Museum sei die Situation der Vermittlung natürlich eine ganze andere.
Tatsächlich sprechen Kuballs Werke für den Ausstellungsraum meist eine andere Sprache – weniger klar ist sie und deutlich komplexer. Nicht gemacht für Passanten, die zufällig vorbeikommen und eingefangen werden müssen, sondern inszeniert für ein Publikum, das ins Museum gekommen ist, in der Erwartung, Kunst zu sehen und damit umzugehen. Etwa ins Jüdische Museum nach Berlin, wo er zwei Jahre lang mit seiner eindrücklichen Licht- und Sound-Inszenierung »res.o.nant« zwei 24 Meter hohe Zwischenräume bespielte. Beim Architekten Daniel Libeskind stehen diese Räume, die sogenannten »Voids«, für die Abwesenheit jüdischen Lebens in Deutschland.
Kuball nun füllte sie mit einem Lichtspiel: Drehende Spiegel und hektische Stroboskop-Blitze, dazu rotierenden Projektoren, die helle Felder an Wände, Decken, Böden und auf die Besucher warfen. Von rund 200 Musiker*innen eingereichte Kompositionen bildeten den Soundtrack: Rap, Free-Jazz, Techno, Scherbenklirren… »Der Hammer«, so Kuball, der sich noch heute überwältigt zeigt von der Dynamik, die das Ganze entwickelt hat. Eineinhalb Millionen Besucher haben das Schauspiel erlebt, sich darin bewegt, haben es fotografiert, gefilmt, im Netz verbreitet – eine Übernahme des Projekts durch das Publikum.
Weniger spektakulär, aber ähnlich vielschichtig ist Kuballs aktueller Auftritt in der Draiflessen Collection in Mettingen, wo eine imposante Multimedia-Installation mit Emil Nolde ins Gericht geht. Jenem Maler, der sich – unter den Nationalsozialisten verfemt und mit Malverbot belegt – nach dem Krieg erfolgreich zum Musterbeispiel des widerständigen Künstlers stilisierte. In den 90ern erst entdeckte die Wissenschaft immer mehr Noldes dunkle Seiten. Seine Sympathien mit dem Regime: Er war Parteimitglied, buhlte um die Gunst der Nazigrößen, diffamierte Kollegen aus dem Kreis der Expressionisten. Kuball nun kommentiert, indem er die gefeierten Bilder hinter farbverzerrenden Scheiben zeigt. Indem er sie hoch unter die Decke hängt oder ihnen im Film die Farbe entzieht. Per Negativ-Projektion präsentiert er Noldes Sammlung ethnografischer Objekte – ein inspirierender Schatz, den der Maler selbst allerdings stets zu verbergen suchte.
Auch diese Installation wird in ein paar Wochen abgebaut. Die meisten seiner Werke existieren auf Zeit, was Kuball nicht bedauert. »Ich finde, das Verschwinden ist eine Qualität: Wir können uns an Dinge, die verschwinden, vielleicht besser erinnern, als an Dinge, die immer da sind…« Auf die Sprünge helfen wird 2021 eine große Retrospektive, die zunächst in Wolfsburg und anschließend verändert im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen zu sehen sein wird: Ein Blick über mehr als 30 Jahre. Hat sich etwas verändert in Kuballs Sicht des Lichts? Ist der einstige Licht-Euphoriker zum Lichtskeptiker geworden, wie es hier und da anklang?
»Nun, wenn es zwei Trikots gäbe, würde ich heute jenes des Skeptikers tragen«, räumt Kuball ein. Zu Beginn seiner Karriere sei alles deutlich sensibler gewesen, sagt er und macht danach seinem Ärger über riesige »Digiwände« Luft, die inzwischen überall in der Stadt schreien: Unterwäsche, Kaffee, Bier… Wer heute mit dem Medium Licht arbeite müsse entscheiden: »Mache ich mit in dieser Lichtkakophonie und werde lauter, wenn alle um mich herum lauter werden? Oder werde ich leiser, akzentuierter vielleicht?«
An diesem Abend werden die Leuchtröhren im Atelier noch eine Weile brennen. Denn Kuball erwartet noch Besuch aus Marl. Auch im Museum Glaskasten hat er noch einiges vor 2021 – vielleicht mit Blitzen und Tänzern. Energiesparen ist seine Sache nicht.
DRAIFLESSEN COLLECTION, METTINGEN
»EMIL NOLDE – A CRITICAL APPROACH BY MISCH KUBALL«
IN PLANUNG:
»MISCHA KUBALL – REFERENZRÄUME«, KUNSTMUSEUM WOLFSBURG, 20. MÄRZ BIS 1. AUGUST 2021
DANACH IM MUSEUM MORSBROICH, LEVERKUSEN