Ein Flipchart, ein Konferenzstuhl und ein Rucksack auf leerer Bühne. Den Raum muss Schauspieler Sebastian Thrun alleine füllen. Mit weißem Kurzarmhemd, angeklemmtem Microport und schwarzen Jeans, Sneakern und Krawatte ist sein Outfit perfekt zwischen Lässigkeit und Seriösität austariert. Korrekt aber ohne Zweideutigkeit der graumelierte Kurzhaarschnitt, der Dreitagebart gibt Thrun Smartness. So gelingt es ihm, das Publikum gleich mitzunehmen. Zwischendurch mal eine Abstimmung oder eine Frage in die Runde – die Zuschauer*innen machen engagiert mit, heben artig die Hand.
Konsequent liest Regisseur Jens Dornheim, der das Stück für das theater glassbooth am Theater im Depot Dortmund inszenierte, den Text als Vortrag im Stil von Coaching- und Motivations-Seminaren. An der Innenseite von Thruns Oberarmen blitzen manchmal Tätowierungen auf. Sein massiver Körperbau, die virile Kraft, die er ausstrahlt – er würde auch in einer Bürgerwehr oder als rechter Provokateur auf einer Demo gut dastehen. Doch diese Rolle spielt er nicht aus. Seine Bewegungen rutschen nie ins Zackige, ins bedrohlich Gespannte, sondern bleiben immer lässig.
So lässt er lange dieses Potenzial des Textes liegen, stattdessen gerät die Darlegung der Reichsbürger-Argumentationen zur Nichtexistenz Deutschlands als Staat, zu BRD-GmbH, den Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Personalausweises und den identitären Theorien zu Rasse und Migration an den Rand des Absurd-Komischen. Dem Text hinzugefügt hat Dornheim kleine, geschickt gesetzte Bemerkungen zur Corona-Politik und direkte Bezüge auf die Dortmunder Nordstadt, in der sich das Theater im Depot befindet. Das mittlerweile bundesweite Klischee vom Migranten-Problemstadtteil bietet dem »Reichsbürger« eine Steilvorlage, um dem Publikum seine Erklärungs- und Erlösungs-Fantasien nahezubringen. Die Anknüpfung an die Pandemie-Querdenker erhöht die Dringlichkeit des Themas.
Doch erst ganz am Schluss wird die immanente Bedrohlichkeit erlebbar, wenn Thrun eine Pistole aus seinem Rucksack zieht und sie direkt ins Publikum richtet. Auch wenn man im Theater nur den ohrenbetäubenden Schreckschuss fürchten muss (der ausbleibt), wird in diesem Augenblick bewusst, dass es gefährlich ist, über die wachsende Reichsbürger-Szene in Deutschland nur zu schmunzeln. So wird »Der Reichsbürger« am Theater im Depot in diesem Augenblick mehr als nur eine gut gemachte Einführung in das wirre Denken eines Verschwörungstheoretikers.
Wieder am 8. und 9. Januar 2021, Theater im Depot, www.glassbooth.de