Die Rapper der Antilopen Gang brachten Anfang 2020 ein neues Album heraus, mussten die Tour dazu abbrechen und nutzten den Lockdown zur Produktion einer weiteren Platte. Das Thema: Corona.
Kolja Podkowik weiß noch genau, wann diese Sache mit Corona erstmals in seinem Kopf aufpoppte: »Bei der Aftershow-Party unseres Berlin-Konzerts am 29. Februar«, sagt er. »Da fiel mir auf, dass immer mehr Leute das Händeschütteln vermieden und mit Desinfektionsspray hantierten.« Kurzum: »Alles wurde verhaltener.« An dieser Stelle könnte man nun sagen: Und der Rest der Geschichte ist bekannt. Aber im Falle seiner Band wäre das zu kurz gegriffen. Denn Kolja Podkowik ist Mitglied der Antilopen Gang, die in den vergangenen Jahren regelrecht in die Rap-Szene sprintete. Mitten hinein in die Spitzengruppe derer, die mit dem Beat vorwegbollern, wie etwa Marteria oder Casper. Man könnte auch sagen: Die Antilopen Gang nahm die Corona-Krise gewissermaßen sportlich: Denn Kolja Podkowik, Tobias »Panik Panzer« Pongratz und Daniel »Danger Dan« Pongratz rappten kurzerhand ein neues Album ein. Das zweite binnen eines halben Jahres.
»Wir haben aus der Not tatsächlich eine Tugend gemacht«, sagt Kolja Podkowik. Der Abbruch der Tour zum – Ironie des Schicksals – »Abbruch, Abbruch« betitelten, eigentlich aktuellen Album habe die drei zum Songschreiben während des Lockdowns animiert. Es habe nicht sofort festgestanden, dass am Ende tatsächlich ein ganzes Werk stehen würde. »Wir haben anfangs einfach Musik gemacht, ohne gleich zu schauen, wohin uns das führt.«
Nun aber ist das zweite Album draußen. Auf dem Label der befreundeten Toten Hosen. Und es klingt ebensogut wie der Vorgänger – was angesichts der enormen Schlagzahl des kreativen Outputs nicht selbstverständlich ist: Die neuen Stücke überzeugen einmal mehr – neben jeder Menge Wortwitz – mit maximal geschmeidigen Arrangements. Man hört, dass der Antilopen Gang ein stumpfer Beat alleine viel zu limitiert wäre. So fließen Nuancen von Pop und Rock mit ein. Und genau das hebt sie von vielen Genre-Zeitgenossen ab.
Adrenalin im Titel
Das Album gibt es zwar nur als Stream und nicht als Tonträger, denn: »Das hätte gedauert und wir wollten nicht auf die Presswerke warten.« Aber es ist da. Und es heißt »Adrenochrom«, was wiederum vielsagend ist. Denn es bezeichnet ein Stoffwechselprodukt des Adrenalins, das nicht nur durch Bücher und Filme Eingang in die Popkultur fand. Es wird auch von Verschwörungstheoretikern gerne als Droge genannt, die aus Kindern gewonnen und von den Eliten der Welt eingesetzt wird, um die Menschheit zu manipulieren. Ein starker Albumtitel also, der durchaus als Seitenhieb auf einen Musikerkollegen verstanden werden darf: »Spätestens seit im Internet diese Videos vom weinenden Xavier Naidoo – und überhaupt all diese Verschwörungstheorien aufgetaucht sind –, hat Adrenochrom auch einen starken Bezug zur Corona-Krise.« Der Titel passe perfekt. »Den konnten wir nicht liegen lassen.«
Ein explizites Corona-Album ist nicht entstanden. »Aber wenn wir Songs schreiben, dann leben sie eben auch von der Situation, in der wir uns befinden. Wir greifen das Thema deswegen auch mehrfach auf – etwa in den Songs ‚Kritisch hinterfragt‘ und ‚Globuli’.« Sicher ist: Ein besonderes Stück Popmusik ist »Adrenochrom« allemal geworden. Ob seiner Rap-Songs. Und selbstverständlich ob seiner Entstehungsgeschichte.
Konzerttermine erst wieder im Frühjahr 2021: Karten gibt es noch für Auftritte am 27. März in der Sputnikhalle Münster und am 11. April im Zakk Düsseldorf.
Im 44. Jahr sind BAP die Blaupause für Kölschrock und eine Institution der deutschen Popmusik. Ein Jahr vor Wolfgang Niedeckens 70. Geburtstag gibt es mit »Alles fließt« nun ein neues Album – und jede Menge Aufregung um deutliche Worte des Sängers.
kultur.west: Herr Niedecken, in den sozialen Netzwerken haben Sie kürzlich Corona-Protestierende kritisiert, die sich mit Rechten gemein machen, wenn sie auf die Straße gehen. Das schlug hohe Wellen. Es gab auch viele negative Kommentare. Entsetzt Sie das?
NIEDECKEN: Man hat das natürlich nicht gerne. Aber mittlerweile kann ich darüber lachen, weil viele realsatirische Sachen dabei sind. Es gibt Kommentare von Leuten, die angeblich immer schon Niedecken- und BAP-Fans waren – aber meinen Namen mit zwei »g« in der Mitte und »BAB« anstelle von BAP schreiben. Ausgerechnet diese Leute sagen, sie würden nun alle meine Platten verbrennen, weil ich mich undemokratisch verhalten hätte.
kultur.west: Wann ging das los?
NIEDECKEN: Als ich letztens mit meiner Frau aus Leipzig zurückkam. Sie fuhr. Ich saß neben ihr und schaute nach, was bei uns auf Facebook so läuft – und dachte plötzlich: »Was ist denn da los«? Da waren lauter Videos, die ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, offensichtlich der Chefideologe der Querdenker, verlinkt hatte. Auf unserer Seite! Das ist ja so, als würde ich bei den Toten Hosen mein Video einstellen und denen sagen: »Ich finde Euch total super. Aber bitte schaut Euch ‚Ruhe vorm Sturm‘ jetzt mal an und sagt, dass Euch das gefällt.« So was geht überhaupt nicht! Wir haben zunächst alle gelöscht. Und dann schrieb ich diesen Post. Natürlich auch ein bisschen erzürnt. Aber eben auch humoristisch, indem ich von »Aluhüten« sprach. Am Schluss habe ich eben auch freundlich ermahnt: »Leute, wenn ihr demonstrieren wollt, dann achtet bitte darauf, mit wem ihr euch da gemein macht.« Man kann von mir aus mit Regenbogenflagge und Peace-Zeichen gegen alles Mögliche protestieren. Aber wenn dann daneben die Reichskriegsflagge geschwenkt wird, dann sollte man das schon überdenken.
kultur.west: Viele dieser Kritiker fordern, man solle die Politik aus der Musik raushalten.
NIEDECKEN: Das ist natürlich Blödsinn. Ich persönlich schreibe immer über das, was mich beschäftigt. Deshalb waren BAP-Alben ja auch nie langweilig. Weil das Leben halt so ist. Vielfältig. Mal ist man unheimlich gut drauf. Mal ist man albern. Mal ist man deprimiert. Mal hat man Liebeskummer. Und manchmal hat man eben auch Angst vor dem, was auf der Welt passiert. Ich kann keine Themen ausschließen. Und man muss weltanschauliche Sachen nicht raushalten. Ich denke, manche Kollegen, die das tun, sind vielleicht auch ein bisschen feige, weil sie sich dann womöglich mit einem Teil des Publikums anlegen würden.
kultur.west:Hat gerade das BAP 44 Jahre lang überdauern lassen? Die Tatsache, dass Sie in einer Stadt, deren Musikszene gerne auf den Karneval reduziert wird, auch die politischen Dinge nie aus den Augen verloren haben?
NIEDECKEN: Das mag sein. Wir haben jedenfalls nie ein Blatt vor den Mund genommen. Ich habe mich ja sogar mal mit dem Karneval angelegt, als ich »Nit für Kooche« schrieb.
Frei übersetzt ins Hochdeutsche singen Sie in dem Song: »Für nichts auf der Welt würde ich zum Karneval in der Stadt bleiben.« Ein Sakrileg in Köln.
NIEDECKEN:Genau. Das war damals, 1982, ein Affront. Da mussten die Kölner schlucken. Damals war der Karneval wirklich noch sehr vermieft und voller spießiger Funktionäre. Damit wollte ich nichts zu tun haben. Ich bin später einmal mit Tommy Engel, dem ursprünglichen Sänger der Black Fööss, einen Tag lang im Karneval mitgefahren. Kurz bevor er die Band verließ. Er wollte mir das mal zeigen. Angefangen haben sie um sechs Uhr bei einer Mädchensitzung in Weilerswist. Und nachts endete es irgendwann spät nach Mitternacht beim Medizinerball im Gürzenich. In einem durch. Und jedes Mal kam ein Vereinsmeier mit Orden behangen an: »Ey, Tommy, mein Freund!« Ganz ehrlich: Ich habe ihn sehr gut verstanden, als er ausstieg… Aber: Der Karneval hat sich seitdem auch geändert und den Song würde ich heute nicht mehr schreiben. Ich habe mittlerweile sogar zwei Mottowagen zum Thema Kindersoldaten in Afrika entworfen und bin zwei Jahre später auf dem Zugleiterwagen mitgefahren. Ich kann meine Meinung also auch revidieren, wenn sich die Umstände geändert haben.
kultur.west: Düsseldorf steht für Punk und Kraftwerk. Hamburg für die frühen Beatles und Indierock der Hamburger Schule. Berlin war immer schon Bowie, Neubauten, Ton Steine Scherbe. Was ist Köln – außer Karneval?
NIEDECKEN: Ich glaube, dass es viele richtig gute Bands gibt. Köln ist eine Musikstadt. Und das größte Aushängeschild waren wahrscheinlich Can, die ja auch international einen ungeheuren Einfluss hatten. Aber die kann man nicht in einem Atemzug mit uns nennen. Ihre Zeit war eine ganz andere. Eine, in der viel experimentiert und improvisiert wurde. Ich denke, wenn man bezüglich Kölns von einer Szene reden will, dann war das wohl das, was Ende der 70er passierte. Als Jürgen Zeltinger und wir unsere ersten Platten rausbrachten. Als plötzlich überall Kölschrock gespielt wurde. Da war zwar vieles noch unbeholfen. Klar. Aber: Das war auch sehr aufregend. Ein Gefühl von: »Wir haben unsere eigene Sprache in unserer eigenen Musik.« Jede dieser Bands hatte etwas Eigenes. Und: Es ging nicht um Kölsch-Besoffenheit. Da regierten ganz andere Themen. Jürgen Zeltinger mit »Müngersdorfer Stadion« etwa! Das war unfassbar! Überhaupt der Jürgen: Ein absolutes Original. Der müsste eigentlich von der Denkmalschutzbehörde bezahlt werden.
kultur.west:Wird Wolfgang Niedecken irgendwann auch zum kölschen Original?
NIEDECKEN: Nein. Für mich wäre das nichts. Auch weil Originale gerne überhöht und mystifiziert werden. Und dafür eigne ich mich nicht.
kultur.west: Könnten BAP denn ohne Wolfgang Niedecken als Frontmann funktionieren?
NIEDECKEN: Ich würde mir wünschen, dass das ginge. Aber wahrscheinlich würde das nicht gehen. Die Lieder sind allesamt zu sehr an meiner Biografie festgemacht.
kultur.west: Ihr neues Album heißt »Alles fließt«. Das könnte man auch deuten als: Für unsere Band geht es immer weiter. Versuchen Sie denn nach 44 Jahren als Musiker und mit fast 70, auch jüngere Menschen noch mit ihren Songs zu erreichen – damit die Sache auch weiterfließt?
NIEDECKEN: Gezielt nicht. Ich glaube auch nicht, dass man die Jüngeren durch Anbiederei kriegt und wenn man sich mit 69 noch als Berufsjugendlicher ausgibt. Die sind ja nicht blöde. Die merken genau: »Alter, womit kommst Du mir denn da?« Für die ist es viel wichtiger, dass man sie für voll nimmt. Dann nehmen sie einen selber auch für voll. Ich habe ja vier mittlerweile erwachsene Kinder. Und nach den Erfahrungen, die ich mit ihnen gemacht habe, käme ich nie auf die Idee, mir die Haare zu färben oder mir ein Korsett anzuziehen, damit ich schlanker aussehe. Da würde sofort die rote Karte gezückt!
kultur.west: Wer aus der Familie würde Ihnen die als erstes zeigen?
NIEDECKEN: Alle gleichzeitig. Aber vor allem meine vier Ladies, wenn ich den Hund mal mitrechne. Ich weiß genau, was die nicht an mir mögen und was ich besser sein lasse.
kultur.west: Zum Beispiel?
NIEDECKEN: Die haben es nicht gerne, wenn ich den Blues habe, traurig durch die Gegend renne und mich daheim hängen lasse – weil man mit so etwas ja auch alle anderen mit runterzieht.
kultur.west: Wenn man diesen Blues hat, dann könnte man – anstatt sich hängen zu lassen – ja auch einen Song schreiben.
NIEDECKEN: Richtig. Dann schreibt man etwas Trauriges. Die ersten Songs, die ich für das neue Album geschrieben habe, waren auch genau das: eher im Sinkflug. Da haben wir schon gescherzt, wir müssten Rasierklingen als Give-Away zur Platte mitliefern, wenn das so weitergeht. Ich war dann total happy, als der erste Song kam, der lebensfroh war – »Mittlerweile Josephine«, über meine jüngere Tochter. Und gegen Ende wurde es immer lustiger. Bis hin zu »Jenau jesaat«, wo der Herrjott hoffentlich nicht allzu früh zu mir sagt: »Kumm ropp!«
kultur.west: Vor 40 Jahren haben Sie Ihren bislang größten Hit veröffentlicht: »Verdamp lang her«. Er wurde zum wohl am meisten missverstandenen Song, denn: Es geht im Text um das nicht gerade einfache Verhältnis zu ihrem seinerzeit bereits verstorbenen Vater. Viele Menschen machten einen Partyhit daraus. Hat Sie das je gestört?
NIEDECKEN: Nein. Denn das waren wir selber schuld. Diesen Refrain kann man ja mit allem anfüllen, was man will: Verdamp lang her, dass mein Fußballverein mal gewonnen hat. Verdamp lang her, dass ich mit meiner Clique zusammen war. Verdamp lang her, dass ich meine Liebste gesehen habe. Da geht ja alles.
BAP wurden im Jahre 1976 gegründet und wurden zur ersten Band, die mit Songs in Mundart deutschlandweit großen Erfolg hatte. Aus der Urbesetzung ist nur noch Wolfgang Niedecken dabei, einer der umtriebigsten Songwriter und Musiker des Landes, dessen Bewunderung für Bob Dylan, Bruce Springsteen, Neil Young oder die Stones verbürgt ist und immer wieder in den eigenen Songs durchschlägt. »Alles fließt« ist das mittlerweile 18. Studioalbum.