Einsamkeit hat viele Gesichter. Diese hier, die die monadischen Existenzen in Roy Anderssons Film betrifft, sieht blass aus, ungesund hell geschminkt, ausgelaugt zu einem grauen Beige oder fahlen Grau. Ihre Bewegung ist die Langsamkeit. Und wenn es aus ihr spricht, hören wir ein Zögern. Mit der Redewendung »Ich sah einen Mann« bzw. »Ich sah eine Frau« setzen die Miniaturen ein, die wie wahllos aus der Lotterietrommel, an der das Schicksal dreht, genommen scheinen. Jede für sich zeigt, in welch naher Nachbarschaft Tragödie und Komödie liegen und dass das Scheitern im Sinne Becketts und seines berühmten Satzes vom »gebären rittlings über dem Grabe« das Movens dieser Erzählkette bildet.
Die Welt ist ein zerbrechliches Ding, nicht weniger der Mensch in ihr. Roy Andersson inszeniert und beschreibt kommentarlos, jenseits moralischer Urteile und scheinbar wertneutral, seine irrwitzigen Episoden. Neusachliche Stillleben – Leben der Reihe nach mit dem Regisseur als Chronisten, vielleicht Heilpraktiker oder Herzspezialisten, vielleicht Seelsorger.
Hoch über der Stadt
Jemand ist mit seinen Gedanken woanders und schüttet als Kellner selbstvergessen die volle Flasche Rotwein über das Glas des Gastes aus. Ein Mann, der durch eine Landmine seine Beine verloren hat, bettelt auf der Straße und singt, begleitet von seiner Gitarre, »O sole mio«. Ein Fahrgast in der Straßenbahn weint hemmungslos und provoziert mit seinem Ausbruch einen Mitreisenden zu der Frage: »Warum kann er nicht einfach zu Hause traurig sein?« Ein Vater, der um der »Ehre« willen seine Tochter erstach, bricht vor dem blutigen Leichnam in Jammer aus. Ein Pfarrer, der seinen Glauben verloren hat und an Gott und den Menschen zweifelt, klagt einem Arzt sein Leid und träumt, er befände sich auf der Via Dolorosa in Jerusalem und trüge wie Christus das Kreuz. Ein Paar schwebt, wie auf einem Gemälde von Marc Chagall, eng umschlungen hoch in den Lüften über dem Panorama einer Stadt, die, wenn nicht alles täuscht, Köln ist und in Kriegstrümmern liegt, durchzogen vom Rhein mit seinen zwei geborstenen, abgebrochenen Brücken. Ein Zug Kriegsgefangener schleppt sich auf seinem müden Winterweg durch den Schnee. Schließlich begegnet uns sogar Hitler bei seinem letzten Tag im Führerbunker mit einem schief geschossenen Rembrandt an der Wand.
Aber all dies – das unsagbar Traurige, seltsam Lustige, wortlos Einsame, Antriebslose und Willensschwache – ist Energie, die sich verwandelt und unzerstörbar unendlich bestehen bleibt.
»Über die Unendlichkeit«, Regie: Roy Andersson, D / Schweden / Norwegen 2019, 80 Min., Start: 17. September 2020