Stefan Bachmann, Intendant des Schauspiel Köln:
Es war tatsächlich so, dass wir mit dem Regisseur Jan Bosse ein anderes Stück geplant hatten. Das Konzept sah vor, dass im ersten Teil 500 Zuschauer auf der Bühne mit den Schauspielern ein Fest feiern sollten. Den zweiten Teil sollte sich das Publikum dann vom Zuschauerraum aus ansehen. Das hätte sich mit keinen Hygienebestimmungen vereinbaren lassen. Deshalb suchten wir nach einem anderen Stück, mit kleinerer Besetzung und reduziertem Bühnenbild. – Für den Bau eines neuen Bühnenbildes war es während des Lockdowns schon zu spät.
Wir kamen auf »Warten auf Godot«. Das Stück ist zeitlos allegorisch, aber der Zustand der völligen Ungewissheit hat doch eine Menge mit unserer Situation während der Pandemie zu tun. Was der Regisseur aus dem Stück macht, kann ich noch nicht sagen, da ich noch keine Probe gesehen habe. Die Hoffnung ist, dass sich das Absurde Becketts mit der tatsächlichen Theatersituation gut verbindet. Es wird sicherlich befremdlich sein, Anfang September ins Theater zu gehen und ganz andere Erfahrungen als die gewohnten zu machen. Alle Zuschauer müssen sich registrieren lassen und sitzen im Mindestabstand von 1,50 Metern auseinander, der Saal ist ungefähr zu einem Drittel gefüllt, überall sind Markierungen und Wegeleitsysteme, es riecht nach Desinfektionsmittel. Wenn man so will, ist das bereits eine Inszenierung von Beckett’scher Traurigkeit. Auf »Warten auf Godot« wird also vermutlich die Aktualität einwirken, aber sicherlich wird Jan Bosse auch den Humor entfachen, der in dem Stück steckt. Humor ist, wenn man trotzdem spielt.
»Warten auf Godot«, Regie: Jan Bosse, 4. September (Premiere), 6., 9., 19., 20. September, Depot 1, Schauspiel Köln
Schauspielhaus Bochum, Chefdramaturg Vasco Boenisch:
Die erste Premiere der neuen Corona-Zeit erfolgte bei uns schon im Juni: »Die Befristeten« von Elias Canetti haben wir aus der Reflexion über Todesangst, Freiheitsbeschränkungen und soziale Vereinzelung heraus gewählt. Die Raum-Regie von Johan Simons mit im Saal verteilten Schauspieler*innen hat künstlerisch mit der Vereinzelung der Zuschauer*innen korrespondiert. Andere, bereits geplante oder nachgeholte Produktionen erfahren eine Neuinterpretation, nicht nur ein pragmatisches Neuarrangement – Stichwort: Abstandhalten –, sondern es fließen unsere aktuellen Lebensumstände konzeptionell ein.
Die Proben zu »King Lear« mussten nach vier Wochen abgebrochen werden. Im Verlauf des Shutdowns haben Regie und Dramaturgie das Stück, das Shakespeare übrigens selbst in Pest-Quarantäne verfasste, noch einmal neu gelesen und sprachlich untersucht. Die Fassung wurde überarbeitet, die Proben begannen fast noch einmal von vorn. So eröffnete sich eine Sichtweise auf das Stück, die ohne den Anstoß durch Corona nicht entstanden wäre, nicht nur formal, sondern auch inhaltlich im Hinblick auf die Charaktere, ihr Wesen, die Atmosphäre und die Beziehungen zueinander.
»King Lear«, Regie: Johan Simons, 10. September (Premiere), Schauspielhaus Bochum
Düsseldorfer Schauspielhaus, Generalintendant Wilfried Schulz und Chefdramaturg Robert Koall:
Selbstverständlich hatten die aktuellen Umstände auch direkten Einfluss auf den Spielplan und formale Entscheidungen. Bei zwei Spielplanpositionen zum Saisonbeginn wurde die Stückauswahl geändert, da die eigentliche Verabredung mit den geltenden Distanzregeln nicht umsetzbar war, zum Beispiel wegen des benötigten Orchesters. Auch »Hyperreal« von Constanza Macras ist stark von der Pandemie beeinflusst. Ursprünglich lag ein Fokus auf der sich weiter öffnenden Schere zwischen hyperarm und hyperreich. Mittlerweile verhandelt das Stück sowohl textlich als auch im Szenisch-Choreografischen die Pandemie und ihre Folgen auf unsere Körper und Seelen. Zuletzt beeinflusst auch die Spieldauer die Spielpläne, da wir ohne Pause spielen müssen und insgesamt zwei Stunden nicht überschreiten sollten. Dies schränkt das Repertoire ein und muss bei Neu-Inszenierungen berücksichtigt werden. Die Herausforderungen sind hoch – inhaltlich, formell, organisatorisch. Der Aufgabe, damit lustvoll und kreativ umzugehen, stellen wir uns zuversichtlich.
»Hyperreal« von Constanza Macras, 3. September (Premiere), 4., 6., 26., 27. September, Düsseldorfer Schauspielhaus