Immer wieder spürt Julius von Bismarck der Ästhetik von Naturgewalten nach – und begibt sich dabei mitunter in gefährliche Situationen. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind nun in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen.
Auf dem Bildschirm im Berliner Atelier steht das Züngeln still. Julius von Bismarck rückt einen zweiten Stuhl an den Schreibtisch und beginnt zu erzählen, wie er sich Seite an Seite mit den Feuerwehrmännern und -frauen inmitten der bis dahin größten Waldbrände in Schweden und Kalifornien bewegte. Dann erst startet er sein Video mit Sogwirkung: Schwer kann man sich losreißen vom faszinierenden Zeitlupen-Lodern, das noch mehr fesselt, weil sich das Feuer symmetrisch doppelt – als würde ein Spiegel den Monitor teilen.
Unversehens verwandelt sich die Katastrophe in ein meditatives Schauspiel. Wie nahe doch Schönheit und Schrecken beieinander liegen, überlegt man und beginnt, über klimapolitische Deutungsmöglichkeiten dieser Arbeit nachzudenken. »Es geht nicht um den Klimawandel an sich. Sondern eher um eine Situation, in der wir uns unsicher sind«, wirft von Bismarck ein. »Meine These ist, dass der Waldbrand momentan wie das kollektive Lagerfeuer ist, wo wir hinein starren, um unsere eigene Existenz auf dem Globus zu hinterfragen.«
Diese Idee bestimmt nun auch seine Inszenierung in Bonn: Überall auf der Welt fand der Künstler Gedenkstätten mit »Ewiger Flamme«. Man schaut hinein, fühlt sich wie hypnotisiert, erinnert sich, denkt nach. Für die Bundeskunsthalle hat er eine Reihe solcher Ehrenmäler nachempfunden, um in der langgezogenen Ostgalerie des Hauses eine Art Spalier daraus zu bauen. Feierlich flankieren diese Skulpturen dort den Weg zur zentralen LED-Wand, auf der von Bismarck die gefilmten Waldbrände toben lässt.
Nicht länger begegne der Mensch als »ordnender Faktor« einer »wilden« Natur, so erklärt er dazu. Vielmehr sei er heute der maßgebliche Akteur, und die Natur reagiere. Zum Beispiel mit verheerenden Bränden, oder auch mit zerstörerischen Stürmen. Auch sie hat von Bismarck einmal zum Thema gemacht und war dazu 2017 nach Florida gereist, ins Auge des Hurrikans »Irma«. In den Bildern, die er von dort mitgebracht hat, sieht man die gefährlichen Böen um Bäume und Büsche tanzen. Hier folgt die Natur ihrer eigenen Choreografie. Doch mitunter hat der Künstler auch mitgemischt, die Gewalten herausgefordert, um sie dann in hoch ästhetische Bilder zu bannen. So zum Beispiel, wenn er kleine Raketen in Gewitterwolken schickte, um Blitze zu provozieren.
»Ich ziehe meine Inspiration aus der Wissenschaft und arbeite künstlerisch«, erklärt er. Mit künstlerischen Mitteln erforscht er Mensch, Natur und Technologie. Dabei legt der Künstler sich nicht aufs Fach fest. Physikalische Experimente, philosophische oder psychologische Gedanken, mitunter auch gesellschaftliche Fragestellungen spielen hinein. Durchaus hätte er sich auch eine Laufbahn als Wissenschaftler vorstellen können. Die Entscheidung für die Kunst sei denn auch nicht aus reiner Überzeugung, sondern aus einer gewissen Unentschlossenheit heraus gefallen – er habe sich einfach nicht auf eine Disziplin festlegen wollen. »Um mit allen Medien arbeiten und alle meine Interessen verbinden zu können, musste ich eigentlich Künstler werden.«
Für sein neuestes Projekt arbeitet er mit dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) zusammen. Von Bismarck baut einen mobilen »Sonnenofen«, der die Sonnenstrahlen einfängt, bündelt und Temperaturen von mehr als 2000 Grad Celsius produziert. Gewiss wird sein »Earth Melting Apparatus« einmal mehr vormachen, wie viel Energie das schöpferische Miteinander von Kunst und Wissenschaft freisetzen kann.
Ein Interview mit Thomas Ruff über »fabrizierte Realität«, das Manipulative der Fotografie und seine große Ausstellung in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW.
Hohe Decken, weite Räume. Soviel Imposanz hätte man nicht erwartet hinter dem unscheinbaren Tor. Noch mehr überrascht der erste Blick in Thomas Ruffs Hallen: Gleich hinter dem Eingang begegnet man dort ein paar Skelett-Abgüssen monströser Urzeit-Tiere. Die sammelt der Künstler, ohne genau zu wissen warum. Vielleicht ist es ja das Unverfälschte, was ihm an den naturkundlichen Funden gefällt? Diese Idee könnte einem kommen, hört man Ruff zu an diesem Vormittag im Düsseldorfer Atelier, mit Shorts und Pudel auf dem Schoß. Wenn er über die Fotografie spricht, über das Manipulative des Mediums und über seine große Ausstellung in der Kunstsammlung NRW.
kultur.west: Herr Ruff, wo sind Ihre Apparate? Sie sind groß geworden als Becher-Schüler. Mit der Großbildkamera und Bildserien – jeder kennt Ihre haarscharfen Porträts aus den 1980er Jahren. Für die Ausstellung in der Kunstsammlung NRW haben Sie nun Arbeiten der letzten 20 Jahre ausgesucht, in denen Sie kaum mehr selbst die Kamera in die Hand genommen haben.
RUFF: Die Fotoapparate sind im Schrank. Wenn ich sie brauche, hole ich sie aber ab und zu heraus. Für meine Serie der ‚flower.s’ etwa bin ich mit der Kamera hinaus gegangen. Die Blätter und Blüten stammen aus dem Garten beim Atelier. Ich wollte Fotogramme machen, fand aber die analoge Dunkelkammer-Technik nicht zeitgemäß. So habe ich mir eine digitale Dunkelkammer ‚gebaut’ und meine eigenen Fotos mit einer 3D-Software zu ‚digitalen Fotogrammen’ gemacht.
kultur.west: Ich denke gerade an einen Besuch vor wenigen Monaten bei Laurenz Berges – wie Sie ein ehemaliger Student von Bernd Becher. In seinem Atelier gegenüber auf der anderen Straßenseite führte er mir seine riesige Großbildkamera vor: Vor 30 Jahren gebraucht gekauft, ist sie weiterhin sein allerwichtigstes Arbeitsgerät. Bei Ihnen ist das ganz anders – inzwischen ist Ihr wichtigstes Instrument der Computer, an dem Sie meistens fremdes Bildmaterial auf unterschiedlichste Weise digital bearbeiten. Wie kam es dieser 180-Grad-Wende?
RUFF: Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Als ich Student war, habe ich fest daran geglaubt, dass Fotografie die Wirklichkeit abbilde. Und entsprechend habe ich gearbeitet. Aber schon mit den Porträts änderte sich das. Ich habe mir klar gemacht, dass ich die Leute im Studio platziert und das Licht gesetzt habe. Sie sind meinen Anweisungen gefolgt: ‚Hebe das Kinn etwas höher’ oder ‚richte den Kopf ein wenig mehr nach links’. Mir wurde deutlich, dass die vermeintlich objektiven Bildnisse doch eigentlich eine fabrizierte Realität zeigen.
kultur.west: Mit dem Zweifel an der Objektivität fing also alles an?
RUFF: Ja, ich erkannte, dass es ganz verschiedene Arten von Fotografie gibt – jede mit einer anderen, eigenen Intention. Das weckte mein Interesse, das wollte ich untersuchen.
kultur.west: Seither haben Sie Vorlagen aus diversen Quellen gefischt: aus Zeitungsarchiven und von Pornoseiten im Internet. Aufnahmen einer Marssonde, medizinische Abbildungen…
RUFF: Anfangs haben auch ein paar Leute gesagt: ‚Der Ruff ist kein seriöser Künstler’. Der springt von Serie zu Serie, ohne dass die eine etwas mit der anderen zu tun hätte. Ich konnte auch nicht genau erklären, warum ich das mache. Doch jetzt, nach 40 Jahren Praxis, sehe ich das Ganze als eine Art Puzzle. Und die einzelnen Serien als Teile davon. Dieses Puzzle könnte man Geschichte, Theorie, Technik der Fotografie nennen. Anscheinend bin ich dabei, es nach und nach zu vervollständigen. Aber natürlich gehe ich davon aus, dass ich es auch in den nächsten 20 Jahren nicht fertigstellen kann. Es wird immer etwas fehlen.
kultur.west: Große Teile dieses Recherche-Puzzles setzen sich aus den fundamentalen Neuerungen zusammen, die das Digitale mit sich bringt. Seit wann beschäftigt Sie dieses Thema?
RUFF: Lange vor Photoshop habe ich die Möglichkeiten der digitalen Retusche ausprobiert. In der Serie der ‚Häuser’ habe ich auf diese Weise zum Beispiel störende Autos entfernt. Hätte ich den Autoschlüssel gehabt, wäre ich eingestiegen und hätte einen anderen Parkplatz gesucht. Weil ich aber keinen hatte, musste ich sie digital wegfahren – so habe ich das gesehen.
kultur.west: Seither experimentieren Sie viel mit digitalen Techniken und greifen auch auf Bilder aus dem Internet zurück. Ihre ‚nudes’ stammen doch aus dem Netz?
RUFF: Ich habe sie dort Ende der 1990er Jahre gefunden. Damals ist man noch mit Modem ins Internet gegangen, und es hat wahnsinnig lange gedauert, bis sich die Bilder aufbauten. Deshalb wurden nur kleine Bilddateien benutzt. Auch auf den Pornoseiten. Als ich mit Aktfotografie arbeiten wollte, habe ich diese schlecht aufgelösten Bilder gefunden. Ich habe damals schon experimentiert, wie man Bilder mit einer Art Pixelverschiebung höher rechnen kann. Dieses Verfahren habe ich auf die Pornofotos angewendet und hatte plötzlich meine ‚nudes’. Mein Kommentar zum exzessiven Exhibitionismus und dem extremen Voyeurismus im Internet.
kultur.west: Ein Thema, das seither ungeheuer an Bedeutung gewonnen hat. Aber gerade in diesen verunklärten Pornofotos scheint noch ein anderer Gedanke auf: Was macht das Netz mit unserem Verständnis von Wirklichkeit?
RUFF: Mit der Komprimierung von Bildern, etwa im jpg.-Format, hat sich die Bildstruktur verändert. Aber die Menschen betrachten solche Bilder, als seien es ‚echte Fotos’. Inzwischen gibt es ja auch Programme, die etwa 3D-Bilder errechnen. Sie sehen täuschend echt aus, sind aber absolut künstlich. Trotzdem schauen viele darauf, als wäre es die Wirklichkeit.
kultur.west: Eine Gefahr, die mit den digitalen Möglichkeiten einer immer perfekteren Verfremdung wächst?
RUFF: Das Medium wurde permanent dazu benutzt, Menschen zu manipulieren. Es ging los mit den Propaganda-Fotos in den 1920er Jahren. Und die Werbung bezweckt ja auch nichts anderes. Die Fotografie war und ist weiterhin die größte Maschine zur Beeinflussung unseres Bewusstseins.
kultur.west: Ziemlich deutlich kommen solche Gedanken in Ihrer neuesten Serie zum Tragen – in den ‚tableaux chinois’ verarbeiten Sie Propaganda-Bilder der 60er und 70er Jahre. Das Ergebnis wirkt wie eine Persiflage auf das Machtsystem in China. Ist diese Aussage beabsichtigt?
RUFF: Ja, es ist eine eher politische Arbeit. Propagandafotografie fand ich schon immer faszinierend, weil sie dieses schöne Bild der Gesellschaft versucht darzustellen. Im Grunde ist es eine perverse Fotografie, fast so schlimm wie Werbung. Für meine Serie habe ich Bilder aus einem Buch verwendet, die handkoloriert wurden, damit die Farben noch schöner leuchten. Um sie zeitgenössischer zu machen, habe ich eine Pixelstruktur darüber gelegt. Für mich spiegelt sich darin auch die Diskrepanz: China steht technologisch an der Spitze, kommt aber ideologisch und politisch nicht aus den 60er, 70er Jahren heraus.
kultur.west: Manch ein Interpret sieht in Ihnen nicht nur den Künstler, sondern auch einen Wissenschaftler, der herausfinden will, wie die Fotografie funktioniert. Würden Sie dem zustimmen? Steckt Forscher-Ehrgeiz hinter Ihrem Puzzle?
RUFF: Als echten Wissenschaftler sehe ich mich nicht. Aber Bernd Becher hat einmal etwas gesagt, das ich mir wirklich zu Herzen genommen habe: ‚Thomas, wenn Du mit einem Medium arbeitest, dann versuche dieses Medium im Bild zu reflektieren.’ Genau das ist mein Ziel, in jedem meiner Bilder. Alle, so hoffe ich, regen an – zum Nachdenken über das Medium Fotografie.
Im Museum Goch zeichnen über 100 Bilder von gut 30 Dokumentarfotografen ein facettenreiches Bild der vergangenen Jahrzehnte in England: »Facing Britain«.
360 Pfund legte er für den alten Doppeldecker hin. Dann ging Daniel Meadows an die Arbeit. Die Sitze mussten Platz machen für Bett, Tisch, Dunkelkammer. Mit dem Wohn- und Arbeitsgefährt startete der junge Fotograf 1973 seine Tour. Meadows tingelte 14 Monate durch die Lande, machte Halt an über 20 Orten und schoss wer weiß wie viele Gratis-Porträts. Die Leute kamen gerne, posierten allein, zu zweien oder in Gruppen: die Oma mit dem Enkel, zwei langhaarige Jungs mit Kippen zwischen den Fingern, fein frisierte Freundinnen im zugeknöpften Wintermantel.
Einen Abzug bekamen sie geschenkt, das Negativ behielt der Fotograf für sich. »Mein wichtigstes Motiv waren und bleiben die Menschen in Großbritannien«, sagte Meadows einmal dazu. »Celebrities haben mich dabei nie interessiert, nur die ganz normalen Leute.« Diese Nähe zum Menschen erkennt Ralph Goertz bei vielen Fotografen der Schau, die er für Goch kuratiert hat. Auch würden sich die Briten in ihrer freien fotografischen Arbeit viel öfter und intensiver den großen sozialen und gesellschaftlichen Problemen zuwendeten als etwa die deutschen Kollegen, so Goertz.
Mit der Kamera in britischen Fernsehecken
Das Themen-Spektrum in Goch reicht vom John Bulmers Blick auf den Untergang der Kohleindustrie in den 1960er Jahren über den Nord-Irland-Konflikt, thematisiert von Kevin O’Farrell, der während der 70er in Belfast fotografiert hat. Weiter zu Tish Murtha – um 1980 schaute sie sich unter arbeitslosen Jugendlichen um, die ihren Frust im Schnaps ertränken. Nur wenige der in der Ausstellung gezeigten Künstler*innen haben Karriere gemacht, wie die Magnum-Fotografen David Hurn und Martin Parr. Die meisten konnten ihre Arbeiten selten zeigen und sind fast vergessen. Einige werden allerdings gerade wiederentdeckt wie John Myers. Parallel zu den Bechers und ähnlich konzeptuell wie diese ging Myers an die Arbeit – etwa wenn er immer nach demselben Muster britische Fernsehecken ablichtete.
Zum Sendeschluss verlässt die Schau das gemütliche Wohnzimmer. In eine unwirtliche Gegenwart führen die jüngst entstandenen Fotos von Robert Darch. Grau in grau fasst der 1979 geborene Fotograf aus Birmingham den Seelenzustand einer Generation: Nebelige Buchten, trübe Hügel, abgestorbene Bäume, dazwischen melancholische Porträts junger Menschen. Und immer wieder das Meer als trennendes Element: »The Island« nennt Darch seine Serie.