»Kunst machen hat immer auch damit zu tun, herauszufinden, ob es etwas Höheres gibt.« Das war klar: Mit irdischer Erbärmlichkeit begnügt sich Choreograf Martin Schläpfer nie. Immer geht es gleich ums Große Ganze: Spiritualität, das Wesen der Schönheit, der Weltuntergang und die unsterbliche Poesie des Spitzentanzes. »Mein Tanz, mein Leben« lautet der Titel seiner gerade erschienenen »Confessiones«, was ein bisschen großspurig anmutet, denn eine Biografie ist dieses Interviewbuch noch nicht, die muss irgendwann noch kommen. Aber man erfährt dank der klugen, hartnäckigen Fragen von Tanzjournalistin Bettina Trouwborst schon viel von dem Schweizer Naturburschen Schläpfer, der in einem sehr politischen, aber gar nicht künstlerischen Elternhaus aufwächst, gegen Widerstände ein herausragender Solo-Tänzer und zugleich eine »aggressive bockige Diva« wird.
Trotz aller Erfolge beendet Schläpfer seine Bühnenkarriere abrupt, um es später als Choreograf zu Weltruhm zu bringen. In den neun Gesprächen geht es um seine Vorliebe für »Absturzmusik«, also Kompositionen, so groß, dass man als Tanzkünstler nur scheitern kann. Um Choreografien aus dem Unterbewusstsein. Um Gastspielreisen in Länder, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Und um beunruhigende Fragen wie: »Ist es noch relevant ein Ballett zu machen?«
Aber keine Sorge, das Genie gibt nicht auf, es zieht gerade vom Rheinland nach Österreich, als Ballettdirektor und Chefchoreograf der Deutschen Oper am Rhein nun zur nächsten Karriereetappe beim Wiener Staatsballett. Man liest gierig weiter, denn wohldosiert sind intime Offenbarungen, ballett-philosophisches Gegrübele und zeitkritische Kante. Ein Martin Schläpfer weiß eben, wie man ein Publikum – sei es mit Ballett oder Buch – bei der Stange hält. nis
Martin Schläpfer: Mein Tanz, mein Leben. Martin Schläpfer im Gespräch mit Bettina Trouwborst, Henschel Verlag 2020, 160 Seiten, 30 Euro
Zum Abschluss seines elfjährigen Schaffens in Düsseldorf und Duisburg zeigt die Deutsche Oper am Rhein in Kooperation mit dem Deutschen Tanzarchiv Köln eine Retrospektive zu Choreographien von Martin Schläpfer mit Fotos von Gert Weigelt: www.kraftfeld-mensch-koerper.de