Es braucht vielleicht etwas Mut für diesen neuen Sonnenhut. Doch der Dame scheint zu gefallen, was sie im Spiegel sieht. Bei der Anprobe in der Essener Karstadt-Filiale hat ihr 1964 Rudolf Holtappel über die Schulter geschaut. Jahrzehntelang war der Fotograf im Auftrag der Warenhauskette unterwegs auf Bilderjagd zwischen Hüten und Haushaltswaren, Wursttheken und Kleiderständern, zwischen Schaufensterpuppen und Schnäppchenjägern. Dabei interessierten ihn weniger die Waren. Vielmehr hatte Holtappel es auf die einzelnen Menschen und Situationen abgesehen.
Als gewitzter Beobachter mit viel Gespür für den treffenden Moment ging er ans Werk – nicht nur im Kaufhaus. Rudolf Holtappel (1923-2013) arbeitete für Tageszeitungen, fürs Theater, für Konzerne. Er fotografierte Landschaften, Städte und Menschen im Ruhrgebiet zu einer Zeit, in der, wie er selbst sagte, »nur dreimal im Jahr eine klare Sicht« herrschte. Man sieht Arbeiter unter Tage, weiße Wäsche vor rauchenden Schloten, die Beatles auf Blitztournee in der Grugahalle. Die Stadt Oberhausen, wo der Fotograf die längste Zeit lebte, hat 2017 seinen Nachlass mit 360.000 Negativen erworben. Daraus schöpft nun die Schau in der Ludwig Galerie. Rund 200 Kostproben überblicken dort das vielfältige Schaffen. »Die Zukunft hat schon begonnen«, diesen Titel hat sich die Ausstellung von einem der Bilder geliehen: Fünf gerupfte Gänse hängen da an den Hälsen auf einer Wäscheleine, darunter geht einsam ein Huhn spazieren.
Bis 6. September 2020, www.ludwiggalerie.de