»Pacific Palisades« – ein Name wie ein Versprechen. Und gleichzeitig sein eigenes Klischee. Palmengesäumte Straßen, weiße Villen im Bauhaus-Stil, Seeluft, Sonnenuntergänge, Californication, die große Freiheit. Thomas Mann lebte mit seiner Familie zu den Zeiten ihres Exils von 1942 bis 1952 in diesem westlich gelegenen Stadtteil von Los Angeles. Die Bundesregierung kaufte das Haus am San Remo Drive 2016, zwei Jahre später wurde es als transatlantische Begegnungs- und Erinnerungsstätte eröffnet.
Andreas Platthaus, geboren 1966 in Aachen, gehörte zu den ersten Stipendiaten, die als »public intellectual« in das neue Residenzhaus eingeladen wurden. Vier Monate lebte der Autor, bekennender Comic-Ultra und FAZ-Literaturfeuilletonist in Los Angeles, um für ein Buch über den deutsch-amerikanischen Maler Lyonel Feininger zu recherchieren. Dazu schrieb Platthaus sein »amerikanisches Tagebuch«, blieb aber nicht am Schreibtisch, sondern streifte durch die nähere und entferntere Umgebung, folgte den Spuren weiterer Exilant*innen wie etwa Lion Feuchtwanger oder Galka Scheyer, einer gebürtigen Braunschweigerin. Sie vertrat als Agentin die Künstlergruppe »Die blaue Vier«. Lyonel Feiniger, Alexej Jawlensky, Wassily Kandinsky und Paul Klee hatten sich den Namen zur besseren Vermarktung in den USA ausgedacht. Feininger besuchte sie kurz auf der Durchreise, die anderen drei verließen zwar Deutschland, aber nicht Europa und starben während des Krieges. Heute beherbergt die Villa am Blue Heights Drive Scheyers private Kunstsammlung mit den Bildern ihrer Künstler.
Natürlich kann man sich, angesichts der Präsidentschaft Trumps und der leidenden deutsch-amerikanischen Freundschaft, nicht nur den Künsten vergangener Tage widmen. Deswegen wagt sich Platthaus auch ins Unschöne des Landes, besucht etwa die mexikanische Grenzstadt Calexico mit den Trump’schen Sperranlagen und die »schlimmste Straßenkreuzung der Welt«, Wilshire/Vermont in Los Angeles, die schon 1950 in einer Donald-Duck-Geschichte von Carl Barks vorkam.
Den Tagebucheintrag vom 12. Mai 2019 schreibt Platthaus unter der Brücke der Interstate 5 nach Sacramento, sitzend auf der Sankt-Andreas-Spalte, jener Kontinentalplattenverwerfung, die jederzeit mit verheerenden Erdbeben Kalifornien vernichten könnte. Es ist natürlich das, wenn auch etwas plakative Symbol für das Land unter Trump und dessen gespaltene Gesellschaft. Es brodelt im Inneren.
Auch wenn man sich während der Lektüre an manchen Stellen fragt, ob nun wirklich jeder Eintrag seinen Weg ins Buch finden musste, sind es gerade die kleinen, schönen Alltäglichkeiten, die Platthaus abseits von Kunst und Politik passieren. Etwa die Frage, wo er mit den 60 Klappstühlen hin soll, die wie aus dem Nichts im Wohnzimmer aufgetaucht sind, weil Frido Mann des Abends vor Publikum aus den Rundfunkansprachen seines Vaters während des Krieges las. Am Ende seines Tagebuchs spürt man Platthaus‘ leichte Resignation, als er, Schuberts »Winterreise« zitierend, notiert: »Fremd war ich eingezogen, befremdet zieh ich aus. Doch auch bereichert.«
Andreas Platthaus: »Auf den Palisaden – Amerikanisches Tagebuch«, Rowohlt, 416 Seiten, 24 Euro