Der Wind bläst stramm über das Wasser im Dortmunder Hafen, das an diesem Tag Mitte Mai ungewöhnlich blau schimmert. Der Verladekran neben dem alten Hafenamt bewegt sich träge, entfernt dengelt und kracht es. Das gellende Horn eines langen, langsamen Containerzuges scheucht energisch einen Gassigeher samt Mischling vom unbeschrankten Bahnübergang an der Speicherstraße. Dort sind schwere Baumaschinen vorgefahren, Arbeiter rufen sich Kommandos zu, Stahlprofile werden geräuschvoll in den Boden nahe der Hafenkante getrieben.
Hier entsteht mit dem »Leuchtturm« das erste Gebäude des neuen Hafenquartiers Speicherstraße, das mit einer Gesamtfläche von 13,5 Hektar eines der wichtigsten Planungsprojekte der Stadt Dortmund ist. »Wir arbeiten hier in den laufenden Hafenbetrieb hinein« sagt Thomas Westphal, der Geschäftsführer der Dortmunder Wirtschaftsförderung und zeigt in Richtung der beiden Hallen eines Stahlbetriebs gegenüber, die weit über die Wasserfläche hinausragen. »Das sind 5000 Industrie-Arbeitsplätze, die wollen wir nicht nur halten, sondern auch ausbauen.« Der Binnenhafen wurde am 11. August 1899 von Kaiser Wilhelm II. zusammen mit dem neuen Dortmund-Ems-Kanal eröffnet, der fortan die westfälische Montan-Metropole mit der Nordsee verband. Im Zweiten Weltkrieg wurde er stark zerstört, aber bereits 1946 wieder in Betrieb genommen, um den Nachschub von Baumaterialien für die zerbombte Stadt zu sichern. Heute ist der Hafen einer der größten Logistikumschlagplätze Europas.
Das Areal an der nördlichen und südlichen Speicherstraße ist industriell geprägt. Zur Wasserseite dominieren große, historische Speichergebäude, auf der anderen Straßenseite stehen flache Häuser mit kleineren Handwerksbetrieben. Hier soll das neue Hafenquartier entstehen, mit einer Mischung aus Start-Ups, Co-Working, Gastronomie, einem Gründungs- und Innovationscampus und der neuen Akademie für Theater und Digitalität. Die Planer*innen rechnen mit 5000 neuen Arbeitsplätzen. »Die Entwicklung beginnt hier, an der südlichen Speicherstraße« sagt Thomas Westphal.»Angefangen mit dem Neubau ›Leuchtturm‹, der die Brücke Richtung Hafenamt mit einer Treppe erschließen wird. ›Leuchtturm‹ deswegen, weil er von der Höhe auch das Hafenamt aufnehmen soll. Wenn man aus Richtung der Brücke und der Stadtbahn kommt, soll man nicht als erstes einen Parkplatz sehen.«
Ein Innovationscampus hinter historischen Mauern
Im ehemaligen Speichergebäude daneben will das Medienhaus Lensing (Ruhr Nachrichten) seine digitalen Angebote bündeln. Im »Lensing Media Port« sollen auf 6000 Quadratmetern zudem Digitalagenturen, Entwickler und Webdesigner arbeiten. Die historische Fassade soll erhalten bleiben, genauso wie bei der nächsten Hausnummer, einem langen Gebäuderiegel, in dem hinter historischen Mauern ein Innovations- und Gründungscampus für digitale Start-Ups entsteht.
Direkt gegenüber war im März der Startschuss für die neue Akademie für Theater und Digitalität gefallen, das Projekt des scheidenden Schauspiel-Intendanten Kay Voges. Die Akademie soll seine intermedialer Regiearbeit am Theater Dortmund fortführen, geleitet von Marcus Lobbes – eine Schnittstelle für die Fort- und Weiterbildung sämtlicher Bühnengewerke, die auch den Takt für wissenschaftliche und künstlerische Diskurse vorgeben soll. Inzwischen sind schon einige Restgebäude abgerissen worden. Gegenwärtig wartet eine umzäunte Sandfläche auf den Baubeginn des Entwurfs der Dortmunder Architekten ».dlx«; ein flacher, kubischer Bau mit Natursteinfassade, in dem die Stipendiat*innen und Studierenden eines geplanten neuen Master-Studiengangs in Zusammenarbeit mit der FH Dortmund arbeiten und neue Theaterwelten erproben sollen. Im Inneren wird es mehrere kleine Bühnen geben, ein klassisches Theater mit regelmäßigem Programm wird und soll die Akademie aber nicht sein. Stattdessen sieht man sich als lebendiges Forschungslabor, dessen Ergebnisse dann zwei Mal jährlich in Form von »Open House«-Formaten der Öffentlichkeit präsentieren will.
Die direkte Nähe zum Gründungscampus ist gewollt und spiegelt das Konzept des neuen Hafenquartiers. Die Planer*innen setzen auf den direkten Austausch. Die digitale Video- und Audiotechnologie, mit der die Akademie in einigen Jahren arbeiten wird, könnte schließlich in enger Abstimmung auch in Dortmund entwickelt werden – direkt in der Nachbarschaft. Einige Schritte neben dem Gelände der Akademie entsteht in einem historischen Ziegelbau mit dem »Heimathafen Nordstadt« ein Projekt, das das angrenzende Stadtviertel eng mit dem neuen Quartier verbinden soll. Ein integratives Bildungshaus und zentrale Anlaufstelle für Zugewanderte, Flüchtlinge und Bürger*innen, mit Beratungsangeboten, Kochschule, Musikunterricht, Jobcoaching, Integrations- und Sprachkursen. Auch hier soll der Begriff vom »Quartier für alle« greifen.
Veranstaltungen auf dem Siloplatz
Richtung Norden, da, wo das Hafenbecken ein Knick nach links schlägt, wird ein ganzes Areal neu gestaltet. Das dänische Architekturbüro COBE aus Kopenhagen ist für den luftigen Gesamtentwurf verantwortlich. Thomas Westphal zeigt auf den markanten Raiffeisen-Siloturm: »Den wollen wir als Landmarke erhalten, wenn auch in einer anderen Optik. Die große Industriehalle dahinter – deren Mittelschiff bleibt ebenfalls erhalten und wird geöffnet. So dass ich ein riesiges Hallendach habe, unter dass man dann Gebäude, Container, verschiedenste flexible Lösungen hineinstellen kann.« Der neu entstehende Siloplatz direkt an der durchgängigen Promenade soll zu einem multifunktionalen Freiraum werden, der von den Akteur*innen aus der Nordstadt und dem Quartier mit Veranstaltungen bespielt werden kann. Flächen werden neu und anders genutzt – so können Anwohner*innen das Flachdach eines Parkhauses als begehbaren Sport- und Freizeitraum nutzen. Die Fassade des Siloturms wird indes umgestaltet und zu einer riesigen Leinwand für lokale Künstler*innen. Die Ansiedlung eines Berufskollegs soll ebenfalls mehr Leben ins Quartier bringen.
Bei solch großen Plänen regt sich natürlich Widerstand aus der Bevölkerung, etwa durch die »Hafen-Initiative«, die Gentrifizierung fürchtet, eine moderne Nahverkehrsverbindung fordert und die nachhaltige Schaffung von günstigem Wohnraum anmahnt. Dazu gab es auch einige Bürgersprechstunden. »Wohnen haben wir ausgeschlossen wegen der Hafenindustrie. Es gab zwar anfangs eine kurze Diskussionsphase, weil es natürlich schön gewesen wäre, im nördlichen Areal, weiter weg vom Wasser, noch eine Wohnbebauung zu realisieren, aber darauf haben wir aufgrund der hohen Lärm-Emissionen verzichtet« sagt Westphal. Die Gefahr eines durchgestylten Designhafens mit Eventarchitektur sieht er nicht. Das sei auch nicht gewollt, sagt er und ergänzt: »Das soll ein lebendiges Quartier werden. Wir wollen die Szene, die sich ja sowieso schon angesiedelt hat, wie das Clubschiff ›Herr Walter‹ oder das Container-Café ›Umschlagplatz‹, dabei haben. Wir möchten hier auch nicht ausschließlich Systemgastronomie haben, uns interessieren individuelle Konzepte. Das wird ein neues starkes Stück Dortmund und kein neues Stück Düsseldorf.« Die »Hafengrammatik« soll erhalten bleiben, damit meinen die Planer den Erhalt des industriellen Charakters. Farbkataloge der bisherigen Bausubstanz wurden angelegt, um diese auf die Neugestaltung zu übertragen. Die alten Pflastersteine der Speicherstraße sind eingelagert und werden am Ende der Bauarbeiten an alter Stelle neu verlegt.
Ins neue Hafenquartier schweben
Was den Verkehr angeht, plant man mit einem Mix aus Auto, Fahrrad und Stadtbahn. Thomas Westphal, der nicht nur der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung ist, sondern auch Oberbürgermeisterkandidat für die SPD, hat für die Zukunft noch größeres im Blick. Die Verlängerung der autark fahrenden H-Bahn, die bisher den Campus der TU Dortmund mit dem Technologiezentrum verbindet. Die Politik diskutiert noch diverse Mobilitätskonzepte, nach dem Vorschlag der SPD soll in den nächsten fünf Jahren die Hängebahn über das zukünftige Areal der FH Dortmund im Union-Viertel bis in das neue Hafenquartier schweben. Die Baustellen, sie haben gerade erst begonnen.