kultur.west: Herr Schmieder, mit dem Wechsel der Intendanz im kommenden Sommer steht dem Schauspiel Dortmund ein großer Bruch bevor. Zahlreiche Mitglieder werden mit Kay Voges das Haus verlassen…
SCHMIEDER: Zuerst einmal hatte ich großes Glück, dass ich nach neun Jahren hier in Dortmund mit nach Wien gehen darf. Das ist für mich nach 35 Jahren Theatermachen etwas ganz besonderes. Es hätte ja auch anders laufen können. Aber selbst dann wäre Veränderung für mich nichts Schlechtes gewesen. Spätestens nach zehn Jahren, vielleicht sogar schon früher, nach sieben oder acht Jahren, ist die Zeit für ein kontinuierlich zusammenarbeitendes Ensemble vorüber. Da fängt man an, sich zu wiederholen. Also muss man die Verhältnisse, in denen man sich befindet, verändern, oder eben gehen. Wenn man so lange an einem Haus ist, richtet man sich ein, und in meinen Augen gibt es für einen Schauspieler nichts Schlimmeres, als es sich gemütlich zu machen.
kultur.west: Aber ein solcher Bruch, der künstlerisch
sinnvoll und produktiv sein kann, hat für Schauspielerinnen und Schauspieler
oft existentielle Folgen.
SCHMIEDER: Ich fange mal etwas
anders an. Ich komme aus einem Land, in dem das anders war. Von dem Moment an,
an dem ich an der Schauspielschule aufgenommen wurde, wusste ich, wenn ich
halbwegs mit allem konform bin, habe ich einen sicheren Beruf. Als ich damals in
Rudolstadt als Absolvent angefangen habe, hatte ich drei Jahre
Absolventenschutz. Das empfinde ich als sehr gute Regelung, die ich mir auch
heute noch wünschen würde. Wenn ein Intendant sich dafür entscheidet, jemanden
an sein Theater zu holen, muss er ihn drei Jahre aushalten.
kultur.west: Das ist doch eine Errungenschaft.
SCHMIEDER: Die drei Jahre ganz sicher. Nur war es in
der DDR verhältnismäßig schwierig, von einem Theater wegzugehen. Man konnte
weggeholt werden von einem Intendanten eines größeren Theaters. Aber selbst zu
wechseln, war kaum möglich. Wenn der Intendant des anderen Theaters einen nicht
wollte, hat man erst gar keinen Vorsprechtermin bekommen. Und ohne ein neues
Engagement kam man überhaupt nicht aus dem Vertrag raus, den man hatte. Ich bin
der Meinung, dass man gerade als junger Mensch nach fünf, sechs Jahren an einem
Theater den Schritt wagen sollte, wegzugehen. Sonst lernt man einfach nichts
Neues. Nach drei Jahren muss ich das Recht, vielleicht sogar die Pflicht haben,
das Haus zu verlassen. Ein Schauspieler muss den Drang haben, sich weiter zu
entwickeln, und sollte nicht hoffen, der Intendant wird mich schon ein Leben
lang behalten.
kultur.west: Ich verstehe, dass Sicherheit für
Künstler auch einengend sein kann. Aber angesichts der prekären Verhältnisse,
in denen viele Schauspielerinnen und Schauspieler leben, erscheint mir der Ruf
nach einer besseren Absicherung durchaus legitim.
SCHMIEDER: Wir müssen eins unterscheiden. Reden wir
aus einer gewerkschaftlichen Position oder aus einer künstlerischen heraus. Ich
habe mein ganzes Leben aus einer künstlerischen Position heraus gedacht. Ich
schätze es, dass ich jetzt mit meinen 60 Jahren mal einen Urlaub bezahlt
bekomme. Das ist schon toll. Trotzdem muss mir immer bewusst sein, wie das Umfeld
in meinem Beruf aussieht. Ich habe stets damit gearbeitet, dass ich nicht weiß,
ob ich immer in meinem Beruf arbeiten kann. Natürlich ist der Konkurrenzkampf
hart, und es gab auch Schmerzliches. Aber am Ende habe ich davon profitiert. So
bin ich dahin gekommen, wo ich heute bin. Und für die Zuschauer ist es doch
toll, dass sie im Rahmen der Möglichkeiten eines Theaters die besten
Schauspielerinnen und Schauspieler bekommen.
kultur.west: Aber es gibt doch gerade von Seiten des
Publikums die Sehnsucht, dass Schauspielerinnen und Schauspieler, die es
schätzt und liebt, für immer bleiben.
SCHMIEDER: Ich mache jetzt mal einen ganz verrückten
Bogen. Heiner Müller hat mal gesagt, in Deutschland geht es immer nur ums
Leben, nie ums Sterben. Es gibt keinen Sterbekult, weil man nur mit dem Leben
Geld verdienen kann. Die Haltung finde ich auch im Publikum. Es gibt diese
grundsätzliche Ablehnung von Veränderungen, diese Weigerung mal über den
Tellerrand zu schauen. Ich würde aber sagen, man muss beweglich bleiben, wir
als Theatermacher ebenso wie das Publikum.
kultur.west: Aber muss es nicht eine gewisse soziale
Sicherheit geben, damit sich die Schauspielerin, der Schauspieler, auf die
Kunst konzentrieren kann?
SCHMIEDER: Es gibt doch Sicherheiten. Das beginnt damit,
dass ein Intendant in der Regel für fünf Jahre engagiert wird. Die Schauspieler
starten mit einem Zweijahresvertrag an einem Haus, auch das gibt einem
Sicherheit. Und ich weiß, wenn ich zwei Jahre fest arbeite, habe ich danach
wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld. Wenn ich also flexibel bleibe und mich
nicht an einen Ort binde, habe ich in diesem Land gute Möglichkeiten zu
arbeiten. Ich wüsste auch nicht, wie es anders organisiert sein sollte. Was
wünschen sich denn die Leute? Womöglich etwas in der Art von »Jetzt habe ich
einen Vertrag und bleibe 20 Jahre da.« Das wäre doch absoluter Stillstand.
kultur.west: Aber die Entscheidungsgewalt über das
berufliche Schicksal der Ensemblemitglieder liegt alleine in der Hand des
Intendanten. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht.
SCHMIEDER: Nur weil ich eine Zeit lang in einem
Ensemble war, hat der Intendant nicht die Verpflichtung mir wie ein Mitarbeiter
eines Sozialamts zu helfen, dass mein Leben weitergeht. Ich muss mich selbst um
mein Leben kümmern. Außerdem bin ich mir auch nicht sicher, ob es überhaupt
erstrebenswert ist, dass ein Schauspieler bei einem Intendantenwechsel am Haus
bleibt. Der Schauspieler, der bleibt, wird immer versuchen, den Neuen zu
erklären, wie es geht. Er kennt das Theater, die Stadt und das Publikum und
wird das, was der neue Intendant macht, an dem messen, was vorher war. Dadurch
ergibt sich für beide Seiten eine schwierige Situation.
Der 1959 in Bautzen geborene Schauspieler und Regisseur Uwe Schmieder hat seine Ausbildung von 1981 bis 1985 an der Theaterschule Leipzig gemacht. Nach einigen Jahren an kleineren DDR-Theatern gründete er 1991 das ORPHTHEATER in Berlin mit und arbeitete 20 Jahre in der freien Szene. Seit 2011 ist er Ensemblemitglied am Schauspiel Dortmund.