Ein Liebespaar, eine Fernbeziehung. Sie lebt in Berlin-Neukölln und hat gerade mit ihrem ersten Roman über Virtual Reality einen grandiosen Bestseller gelandet. Er lebt in Maintal bei Frankfurt im Bungalow seiner Eltern und ist gefragter Webdesigner. Tanja und Jerome. Zwei urbane Alphatierchen. Attraktiv, intelligent, ökonomisch abgesichert und stets damit beschäftigt, ihr Leben perfekt zu inszenieren. Küssen sie sich in der Öffentlichkeit, wird im Kopf-Protokoll des Protagonisten vermerkt: »Jerome kokettierte mit der Rolle des überglücklichen heterosexuellen Partners.« Und später: »In der Folge hatten sie leicht pathetischen Sex auf der Couch bestimmt von der Überzeugung, dass sie nun etwas fraglos Gutes für ihren Geist und Körper taten.«
Maßvoller Konsum von Ecstasy
So kreisen die Gedanken der beiden Helden im neuen Roman von Leif Randt vor allem um eins: sich selbst. Obsessive Ich-Observation. Wer bin ich, wer will ich sein, wie designe ich mein Ego und ästhetisiere ich mein Leben? Sie kleiden sich mit absichtsvollem lässigem Understatement, konsumieren maßvoll Ecstasy und andere Drogen. Sie gehen joggen oder Badmintonspielen, balancieren kulinarisch Trendfood und Traditionsküche fein aus, parlieren auch schon mal unaufgeregt über Politisches und klar: zu ihren Eltern haben beide ein total entspanntes Verhältnis. Probleme? Haben andere. Katastrophen? Selbstzweifel? Fehlanzeige in diesem maximal chilligen Roman.
Mit faszinierender, ja penetranter Präzision erfasst der 1983 geborene Autor Leif Randt seine eigene Generation: Die ersten Digital Natives, mit nicht mehr kriegstraumatisierten Kumpeleltern und einem durch-freudianisierten kollektiven Bewusstsein. Die Kompetenz zur Selbstreflexion, die Generationen vorher als Voraussetzung für Empathie und Verständigung predigten – in diesem Roman wird sie in den Exzess und letztlich ad absurdum getrieben. Denn was bleibt, wenn wir jede emotionale Regung analysieren und intellektuell zähmen? Eine ziemliche Leere, zeigt Leif Randt, der schon in seinen vorangegangenen erfolgreichen Romanen »Schimmernder Dunst über Coby County« und »Planet Magnon« Wohlstandsgesellschaften porträtierte. »Allegro Pastell« brachte ihm eine Nominierung für den Leipziger Buchpreis ein.
Selbst die Emojis werden wohlgewählt
Wo zwei Jahrzehnte vor Randt die »Generation Golf« in ihrer Literatur noch mit Spaß und Selbstironie den Hedonismus und Markenfetischismus kultivierte, verweigert Leif Randt nun die satirische Veralberung. Er porträtiert stattdessen mit süffisanter Eleganz den Narzissmus seiner Generation – gewissermaßen als Insider mit Außenperspektive: Mit einer subtil-ironischen Sprache und einer sensiblen Imitation von Idiomen bis hin zur akkuraten Wahl von Emojis.
Bis zum Schluss weiß man nicht so recht: Soll man diese superschlauen Helden für ihren relaxten Hedonismus beneiden oder bedauern? Wie seine Charaktere hat auch Leif Randt in diesem Roman alles unter Kontrolle und beherrscht virtuos sein manipulatives Schriftsteller-Handwerk. Das muss man bewundern, aber nicht unbedingt lieben. »Allegro Pastell« ist Literatur, die auch banalste Alltagsverrichtungen mit soziologischer Detailversessenheit interpretiert, und Leif Randt der derzeit wohl talentierteste und klügste Chronist einer Welt, in der reflektierter Lifestyle alles ist. Oder eben: nichts.
Leif Randt: »Allegro Pastell«, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, 288 Seiten gebunden, 22 Euro
Lesung am 25. Mai 2020 im Café Pension Schmidt, Münster
www.pensionschmidt.se