Man ist dem Himmel näher – wenn auch nur einen Meter fünfzig. Das genügt aber schon für komfortable Entrücktheit und Weitsicht. Wer einen Fensterplatz unter der leicht gebogenen Scheibe oben im Doppelstockwagen ergattert hat, blickt hinauf auf ziehende Wolken, herab in unaufgeräumte Hinterhöfe, erleuchtete Fenster und unerkannt auf die Köpfe der Mitreisenden. Pech haben dagegen jene, die auf einem Platz in der unteren Etage des Wagens sitzen. Von dort geht der Blick im dicht besiedelten NRW meist nur auf vorbeiflirrende Lärmschutzwände oder die zeitgenössische Schuhmode Wartender an Bahnsteigkanten; immerhin eine Perspektive, die für Soziologen durchaus interessant sein könnte.
Die Idee, den Platz in einem Waggon durch das Hinzufügen einer weiteren Etage zu verdoppeln, ist älter als gedacht. Wer sich etwa an den nordrhein-westfälischen Nahverkehr der 1980er Jahre zurückerinnert, denkt an die schweren »n-Wagen« der Bundesbahn, die sogenannten »Silberlinge«, die sogar bei 40 Meter Schnee ihren Dienst taten oder an die ersten S-Bahnen mit orange-brauner Innenausstattung. Bahnromantiker konnten da von den Panoramawagen der Schweizer Bahn oder des TEE Rheingold nur träumen. Dabei kamen bereits seit Beginn des Eisenbahnbaus Doppelstockwagen zum Einsatz. Weniger luxuriös, aber hinreißend praktisch. Vorbild waren Postkutschen, auf deren Dächern sich schon zuvor Kutschböcke und weitere Plätze für Passagiere befanden.
In Deutschland befuhren ab 1936 die ersten Doppelstockwagen die Strecke zwischen Hamburg und Travemünde, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schickte die Deutsche Bundesbahn ähnliche Wagons als Eilzüge auf die Gleise. In der DDR nutzte die Reichsbahn ebenfalls schon früh die zweistöckigen Modelle und ab den 90er Jahren setzte auch die Deutsche Bahn verstärkt auf Doppelstockwagen für den schnellen Regionalverkehr. Eine gute Entscheidung, um zu den Stoßzeiten möglichst viele Pendler*innen gleichzeitig zwischen den Großstädten hin und her zu transportieren.
Von außen sind die Züge meist in rot und weiß gehalten, den Corporate-Farben der DB, was Kölner und Freunde der »Pommes-Schranke« gleichermaßen erfreuen dürfte. Das Interieur ist hingegen pragmatisch und praktisch gestaltet. Grau- und Blautöne, kombiniert mit Edelstahl, alles relativ randalefest. Die Sitze sind als Zweier- oder Vierergruppen angeordnet, im Triebwagen befinden sich zwei lange Reihen, wo man den anderen Fahrgästen in direktem Blickkontakt gegenübersitzt. Marina Abramović hätte ihre Performance »The Artist is present« statt im New Yorker MoMA also auch im Regionalexpress zwischen Wattenscheid und Unna veranstalten können.
Barrierefrei sind die Doppelstockwagen, bis auf den Gepäck- und Fahrradbereich, allerdings nicht so richtig. Das liegt an den Treppen, angesiedelt irgendwo zwischen M.C. Escher und Hogwarts. Diese schrecken zwar Rad- und Rollstuhlfahrer, aber nicht den Pauschalurlauber auf dem Weg zum Flughafen ab. Der verreist mit seinem gesamten Hausstand, verpackt in Hartschalenkoffern, und wuchtet diese selbst in der Rushhour unbeirrt in die obere Etage. Als wäre das eine Postkutsche, unterwegs nach Laramie.