Das Kölner Acht-Brücken-Festival erkundet klingende Sphären, kosmische Welten und galaktische Räume – nicht nur, aber vor allem mit Stücken von Karlheinz Stockhausen.
Karlheinz Stockhausen war sich vollkommen sicher, dass er auf dem Planeten Sirius ausgebildet wurde und von dort auch die Inspirationen für seine Werke erhalten hatte. Natürlich gab es unter seinen Komponistenkollegen nicht wenige, die daran erheblich zweifelten. Wie Hans Wüthrich, der einmal in Gegenwart von Stockhausen mit den Worten losgeprustet haben soll: »Haha…vom Sirius…ha….ha…« Darauf muss Stockhausen nur empört geantwortet haben: »Also, eins sage ich Ihnen jetzt, Herr Wüthrich, wenn Sie eines Tages am Sirius vorbeikommen und ich bin da, dann sage ich: raus, Herr Wüthrich, raus!«
Auf dem Weg zu »Sirius«
Im vergangenen Jahr ist der Schweizer Komponist gestorben. Vielleicht ist er ja schon längst auf dem Weg zum 8,6 Lichtjahre entfernten Stern »Sirius«, um Stockhausen zuzuwinken und auch bisschen zu ärgern? Denn mit seinem Tod wollte der Neue-Musik-Visionär auf jeden Fall wieder dorthin zurückkehren, wo für ihn »die Musik am vollkommensten entwickelt ist, da für die Bewohner die Musik die höchste Form aller Schwingungen ist«.
»Parkmusik« unter klarem Nachthimmel
Doch bereits zu seinen Lebzeiten war Karlheinz Stockhausen offen und bereit, aus der Weite des Universums jenen göttlichen Funken zu empfangen, um am laufenden Band so noch nie gehörte und erlebte Klangwelten zu realisieren. Mit seinem Musiktheater-Opus-Magnum »Licht« hinterließ er eine mystisch-spirituelle Feier der sieben Schöpfungstage. Als eine minuziös durchkomponierte Kollektion von Gebets-Gesten aus allen Epochen und Kulturen entpuppten sich Mitte der 1970er Jahre die Anbetungen für Solisten und Orchester namens »Inori«. 1971 ließ er sich von Sternenbildern zu einer im Freien stattfindenden »Parkmusik« inspirieren, bei der das Publikum bei klarem Nachthimmel sogar die gerade erklingenden Sternkonstellationen beobachten konnte.
Diese drei Werke sind es nun auch, mit denen das Kölner Neue-Musik-Festival Acht Brücken passend zum diesjährigen Motto »Musik Kosmos« einen Stockhausen-Schwerpunkt bildet. Aus »Licht« erklingt der »Freitags-Gruß«. »Inori« ist in der selten aufgeführten Fassung für zwei Solisten und mit dem WDR Sinfonieorchester zu erleben. Für die für fünf Gruppen geschriebene Parkmusik »Sternklang« hat man mit dem weiten Rund des Bundesliga-Stadions des 1. FC Köln eine etwas andere Open-Air-Bühne gefunden.
Unendliche Weiten
»Musik und Kosmos« – von dieser Verbindung war die Menschheit bereits in der Antike fasziniert. So attestierte Pythagoras den Himmelskörpern und ihren Kräften eine harmonische Ordnung, die sich in wundersamen Sphärenmusiken ausdrücken würde. Seitdem haben sich Komponisten nicht nur mit der Entstehung der Welt aus dem Chaos und dem Urknall beschäftigt. Zu den Klassikern der musikalischen Erkundung unseres Sonnensystems gehört etwa Gustav Holsts Orchestersuite »Die Planeten«. Das Universum mit all seinen unendlichen Weiten und Geheimnissen gibt denn nun auch den Takt in den unzähligen Konzerten an, mit denen Acht Brücken traditionsgemäß von der Philharmonie über die Musikhochschule und das Gloria-Theater bis zum Theater am Tanzbrunnen fast ganz Köln bespielt.
Enno Poppe und das Ensemble Musikfabrik
Natürlich darf dabei auch die »Lagerstätte für die mobilen Hochwasserschutzelemente« nicht fehlen, wo Akkordeonistin Eva Zöllner und Klarinettistin Heather Roche unter anderem das vom Tonmaterial der ersten Mondlandung gespeiste Stück »On Tranquility« von Christopher Fox erstaufführen. Überhaupt gibt es wieder zahlreiche Weltpremieren, darunter von Chaya Czernowin, Georg Friedrich Haas und Matthias Krüger. Zu den herausragenden Neue-Musik-Interpreten gehören einmal mehr das von Sylvain Cambreling geleitete Ensemble Modern, das Ensemble Musikfabrik unter Enno Poppe sowie die Pianistin Rei Nakamura, die die nach einem Sternen-Atlas komponierten »Etudes Australes« von John Cage spielt.
Ganz neue Vorstellungen von Klangzeit und Klangraum präsentiert zudem Iannis Xenakis »Terretektorh«, bei dem die 88 Orchestermusiker im Publikum verteilt werden. In »Le noir de l´étoile« für sechs Schlagzeuger und Tonband des französischen Spektralisten Gérard Grisey kommt es zu elektro-akustischen, mal rotierenden, mal alle Gravitationsgesetzte außer Kraft setzenden, frei schwebenden Raumklängen.
Kunterbunte Jazz-Sessions
Ganz andere, bisweilen äußerst bizarre Klangsignale empfängt dagegen das Sun Ra Arkestra seit 1993 von ihrem Herrn und Meister. Herman Poole Blount, besser bekannt eben als »Sun Ra«, war allein schon äußerlich, in seinem silbern-glitzernden Gewand nicht von dieser Welt. Setzte er dann noch mit seiner Big-Band zu einer seiner legendären kunterbunten Voodoo-Jazz-Sessions an, erklangen dabei immer auch solche von ihm erfundenen kosmischen Instrumente wie die Sonnenharfe. Seit Sun Ra nun angeblich auf Saturn lebt, fungiert der inzwischen schon 95-jährige Saxophonist Marshall Allen als sein Stellvertreter auf Erden. Nun landet das Sun Ra Arkestra-Raumschiff am Rhein – sicher ist: Im Publikum werden sie alle große Augen und Ohren machen!
»Musik und Kosmos«: Acht Brücken. Musik für Köln 2020, 30. April – 10. Mai 2020