Hin und her schaut man zwischen Nate und Kirk, Kirk und Nate. Vom weißen Hemdkragen, über die Bartstoppeln, die braunen Augen bis zum kurzen dunklen Haar, das oben auf Kirks Kopf ein wenig absteht. Die eineiigen Zwillinge zeigen sich vor hellem Grund und richten ihren Blick frontal in die Kamera – weder heiter noch ernst, traurig oder wütend. Ganz neutral, einer wie der andere. Zur Porträtsitzung haben sich die Mueller Brothers sogar die gleichen Fliegen um den Hals gebunden, bemerkt man und beginnt, sich beim Hin und Her zu fragen, ob nicht der eine etwas ruhiger wirkt, der andere eine Spur munterer. Warum scheint es, als sei Nate gelassener und Kirk etwas lebhafter?
Dieselbe Wohnung, derselbe Job
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Dabei haben die beiden nicht nur dieselbe DNA. Sie leben auch in derselben Wohnung und arbeiten sehr erfolgreich im selben Webdesigner-Job, als Martin Schoeller sie 2012 zum Fototermin trifft. Und doch scheint da etwas zu sein, das sie unterscheidet. Genau das interessiert den Fotografen. Dabei sind Nate und Kirk nicht die einzigen, die er mit seiner Kamera durchleuchtet. Um die 200 Zwillinge, Drillinge und Vierlinge hat Schoeller für seine Serie »Identical« fotografisch untersucht. Einige Beispiele sind nun auch im NRW-Forum zu sehen.
Haarscharfe Nahaufnahmen von Promis
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Schoellers erste große Überblicksschau in Deutschland vereint Werke aus rund 20 Jahren und diversen Werkgruppen des 1968 in München geborenen Fotografen, der in New York eine Traum-Karriere machte, ohne dass man in seinem Heimatland sehr viel davon mitbekam. Den Durchbruch schaffte er Ende der 1990er Jahre mit haarscharfen Nahaufnahmen von Promis, wie sie nun auch in Düsseldorf zu sehen sind: Jack Nicholson, Helen Mirren, Julia Roberts, Woody Allen… Dreimal hat er Barack Obama besucht, auch im Berliner Kanzleramt war er zu Gast: Angela Merkel gab ihm genau fünf Minuten für das Shooting.
Neonröhren statt Blitze
Egal ob Schoeller Filmstars oder Politikern ins Gesicht schaut. Ob er Zwillingen in New York nahe kommt oder Frauen vom Volk der Kayapo im Amazonasgebiet – sein Rezept bleibt gleich. Der Fotograf verschwindet mit seinen Modellen in einer Art Kabine, die er aus schwarzen Tüchern baut. Statt des Blitzes benutzt er für seine Close-ups Neonröhren, die das Gesicht erhellen und sich in den Pupillen spiegeln. Das Gegenüber sitzt auf einem Hocker, und seine Nase ist nur rund einen Meter vom Objektiv entfernt, wenn Schoeller auf den Auslöser drückt. Mitunter steigert er allerdings die Distanz, 2003 etwa, wenn er eine Reihe weiblicher Bodybuilder ablichtet und dabei auch die imposant bepackten Oberkörper ins Bild fasst.
Nahezu unbeeindruckt: George Clooney und Brad Pitt
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Neben den charakteristischen Nahaufnahmen stehen in Düsseldorf auch inszenierte Porträts, bei denen sich seine Modelle wie auf einer Bühne bewegen. Oft genug wundert man sich dabei, wie Schoeller sie dazu bringt, bei dem Theater mitzumachen. Quentin Tarantino etwa ließ sich in einer Zwangsjacke stecken und zwischen weißen Tauben ablichten. Robert de Niro sitzt müde in der U-Bahn, eine Tüte Chips auf dem Schoß. Skateboard-Star Tony Hawk performt mit dem Board auf der Küchen-Anrichte, während seine Frau, das Baby vor dem Bauch, die Spülmaschine ausräumt. Nur George Clooney und Brad Pitt ließen sich nicht überreden und spielten einfach weiter Croquet, als Schoeller sie 2007 in Cannes fotografieren wollte. Ein cooles Bild ist trotzdem dabei herausgekommen.
Martin Schoeller, bis 13. September 2020, NRW-Forum Düsseldorf: NRW-FORUM.DE
Bis 26. Juli 2020 ist Martin Schoeller auch in Essen zu Gast mit seinen Porträts von Holocaust-Überlebenden: »Survivors. Faces of Life after the Holocaust«, Mischanlage, Zeche Zollverein, Essen