»Sie lebte acht Leben in einem«, hat Tochter Liza Minnelli über ihre Mutter gesagt. Judy Garland wurde nur 47 Jahre alt. Ihr Leben scheint mit dem einer zweiten Künstlerin zu überblenden – nahezu parallel und in Gleichzeitigkeit. Auch Edith Piaf wurde keine 50, auch sie besaß den Stallgeruch des Vaudeville, entzündete sich auf der Bühne in emotionaler Intensität, liebte und litt radikal – an den Männern, ihrem maladen und malträtierten Körper, ihren Süchten. Edith und Judy, Schicksals-Schwestern.
Als Kinderstar in »The Wizzard of Oz«
Der Teenager Judy war bereits Kinderstar (an der Seite von Mickey Rooney), als sie die Rolle der Dorothy in »The Wizzard of Oz« bekam. Der Song »Over the Rainbow« überwölbt ihre Karriere, die sie als MGM-Star in den Hollywood-Himmel katapultierte und zur Schwulen-Ikone werden ließ – am Tag ihrer Beerdigung erhob sich in New York die village voice der Stonewall-Revolte. Zu Garlands drei Dutzend Filmen gehören ewige Klassiker wie »Ziegfeld Follies«, »Easter Parade« und »A Star is born«. Die Sängerin wurde allein für ihr Album »Judy at Carnegie Hall« mit fünf Grammys ausgezeichnet. Ihr Privatleben hingegen war ein Desaster, fünfmal verheiratet (darunter mit Regisseur Vincente Minnelli) und geschieden, tabletten- und alkoholabhängig und krank, starb sie an einer Überdosis von Barbituraten.
Feuerwerk der Gefühle
Im Winter 1968, ein halbes Jahr vor ihrem Tod und verpönt als »unberechenbar und unversicherbar«, gastiert sie im Londoner Club Talk oft the Town: ein fulminantes Comeback vom ersten Song »By myself« an. Sie kämpft als Mutter Courage um das Sorgerecht (»Kinder sind, als trüge man sein Herz außen am Körper«), stürzt ab, steht auf, fällt wieder, leuchtet im Scheinwerferlicht und verbrennt. Und begegnet dem viel jüngeren Mickey Deans. Bei diesem Schlussakt setzt der Film ein, der in Rückblenden freilich das Dressur-Opfer des Studiosystems zeigt, gegen das die junge Judy rebelliert und frühe Blessuren abbekommt. Regisseur Rupert Goold zündet ein Feuerwerk der Gefühle, als habe er sich an Minnelli orientiert. Renée Zellweger spielt, manchmal hart am Limit zur Karikatur, dramatisch effektsicher zwischen Up and Down, dem Glamourösen und dem Kaputten: die pure Oscar-Bewerbung. Judy Garland hat ihn nie erhalten – das könnte sich für »Judy« jetzt ändern!
»Judy«, Regie: Rupert Goold, GB 2019, 118 Min., Start: 2. Januar 2020