Der Betonkristall des Mariendoms in Neviges, der Ziegel-Beton-Mix von Christi Auferstehung in Köln oder das Kinderdorf Bethanien in Bergisch Gladbach –allesamt sind sie Architekturikonen in Nordrhein-Westfalen. Alle geschaffen von einem Architekten: Gottfried Böhm, der am 23. Januar 2020 nun 100 wird und auf ein überaus produktives Leben zurückblickt – insbesondere was den Kirchenbau angeht.
Ein Werk der Böhms: die Kölner Zentralmoschee
Doch er ist es nicht alleine. Schon Gottfried Böhms Vater Dominikus war Architekt und einer der herausragenden Kirchenbaumeister der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gottfried war 1947 in das Kölner Büro seines Vaters eingestiegen, hatte mit ihm zusammen gearbeitet, so wie später auch seine Söhne Stephan, Peter und Paul mit ihrem Vater Gottfried gemeinsam bauten. Ab den 1970er Jahren war zwar das Interesse an Kirchengebäuden stark zurückgegangen, aber noch in den 1990er Jahren hatten die Söhne, Peter und Paul Böhm, jeweils ein wegweisendes Kirchengebäude geschaffen. Auch der Entwurf für die Kölner Zentralmoschee, fertiggestellt 2017, stammt aus der Feder der Architektendynastie Böhm, die eine so große Fülle von Sakralbauten entworfen hat, wie sonst sicher keine zweite Familie.
Experimente in Grün
Das demonstriert nun auch der großartige Bildband »Sakralbauten der Architektenfamilie Böhm«, für den der Fotograf Hartmut Junker vier Jahre in den fast 100 Kirchen, Kapellen, Gemeindezentren und eben der Moschee der Böhm-Familie unterwegs war. Mit seinen Fotos hebt er die Charakteristika der einzelnen Gebäude hervor, zeigt das Höhlenartige von St. Gertrud in Köln oder illustriert das schillernde Farbenspiel von St. Konrad in Neuss-Gnadental. Der dicke Band macht aber auch auf die nicht so typischen Gebäude aufmerksam: auf die Experimente mit einem grünen Raumgitterwerk in Heilig Geist in Erkrath-Hochdahl zum Beispiel. Oder er bietet ungewöhnliche Perspektiven, wie den Blick in den von farbigen Fenstern rosa ausgeleuchteten Schacht über dem Altar von St. Joseph in Köln-Rodenkirchen.
Kirchenschätze an Rhein und Ruhr
Eingeordnet hat das Foto-Konvolut wie das architektonische Werk die Kunsthistorikerin Stefanie Lieb, das Buch folgt grob der chronologischen Ordnung, ist dann aber thematisch gegliedert: Kapitel wie »Himmelsgewölbe« oder »Burg und Bunker« führen mehrere Gebäude zusammen und ermöglichen neue Querbezüge. Kenntnisreich, aber auch allgemein verständlich erläutert Lieb die Besonderheiten jeder Kirche in einem zugehörigen Text. So wird der jetzige Zustand der Kirchen dokumentiert, auch um die bedrohten Bauwerke zu würdigen. An Rhein und Ruhr gibt es die weltweit höchste Dichte von Kirchen der Moderne – ein einzigartiger Schatz. Doch oft werden sie gar nicht mehr benötigt, die Gemeinden haben zu viele Kirchen, zu wenige Menschen gehen in den Gottesdienst. Auch einige Sakralbauten der Böhm-Familie sind daher bereits profaniert oder stehen vor einer Umnutzung. Ebenfalls ein Thema des Bandes, der Lust macht, noch tiefer in das Werk der Böhms einzutauchen und sich alle Sakralbauten vor Ort selbst anzusehen. Nicht nur zur Weihnachtszeit…
Hartmut Junker, Stefanie Lieb: Sakralbauten der Architektenfamilie Böhm, Schnell & Steiner, 480 Seiten, 110 Euro