Erinnerungen schimmern im Rückblick zwar immer etwas goldener als die Realität, trotzdem ist man sich im kollektiven Weißt-du-noch einig: Das war schon etwas sehr Besonderes, damals vor zehn Jahren, als das Ruhrgebiet für ein Jahr Kulturhauptstadt Europas war. Angefangen bei der Eröffnung im dichten Schneegestöber auf der Zeche Zollverein mit Prominenz von Köhler bis Grönemeyer; langen, kältetapferen Menschenschlangen vor dem neueröffneten Ruhr Museum und Bierwagen, die witterungsbedingt mit Kaffeemaschinen ausgestattet wurden. Später im Jahr die »SchachtZeichen«, sonniggelbe Heliumballons, die die Standorte der historischen Zechen markierten. Das spektakuläre »Still-Leben« auf der gesperrten Autobahn A40 zwischen Duisburg und Dortmund, ein riesiges sommerliches Nachbarschaftsfest. Himmel und Menschen. Das tausendfache Singen des Steigerlieds beim Abschlusskonzert des »!Sing – Day of Song« in der Arena auf Schalke – inklusive Gänsehaut. Die erste »Emscherkunst«, die der Bevölkerung und den Gästen ein neues Bild des ehemaligen Abwasserflusses vermittelte.
Die Perspektiven weiten
Überspannt wurde das Projekt Kulturhauptstadt RUHR.2010 von der Hoffnung, dass diese dem Revier einen kräftigen Schubs Richtung Zukunft geben und den Gedanken der Gemeinsamkeit stärken sollte. Die Idee, die polyzentrisch-urbane Anhäufung von 53 Städten mit insgesamt 5,3 Millionen Einwohner*innen zur »Metropole Ruhr« heraufzulabeln, war damals schon überambitioniert. Der Grundgedanke aber, die Perspektive zu weiten, die Region als einen großen Möglichkeitsraum zu begreifen und enger zusammenzuarbeiten, bleibt bis heute aktuell.
Neue Landmarken
Klar, in dieser Richtung ist einiges vorangetrieben worden in den letzten zehn Jahren. Die Museen treten unter der Dachmarke »Ruhrkunstmuseen« gemeinsam auf, die Theater sind ihnen mit dem Verbund der »Ruhrbühnen« gefolgt. Urbane Künste Ruhr (hier unser Programmüberblick für 2019) bespielt mit großen Ausstellungsprojekten meist mehrere Städte gleichzeitig und fördert so deren Vernetzung. Von Dortmund aus kümmert sich »ecce«, das »european centre for creative economy« um die Kreativwirtschaft im ganzen Ruhrgebiet, mit dem Ziel, die Region als Zukunftsstandort sichtbar zu machen. Neue, glitzernde Landmarken sind entstanden, wie das aufpolierte Welterbe Zollverein, das Dortmunder U, der nun auch schon zehn Jahre alte Neu-Anbau des Museum Folkwang oder das Bochumer Musikforum. Initiativen wie »Jedes Kind ein Instrument« wurden erfolgreich weitergeführt, allein in Essen hat sich die Zahl der Musikschüler von 5000 auf 10000 verdoppelt. Die Übernachtungen entwickeln sich gut, die touristischen Angebote ebenso und zwischendurch war Essen die grüne Hauptstadt Europas.
Über die Grenzen des öffentlichen Nahverkehrs
Klingt alles gut, dennoch hakt es an einigen Stellen. Etwa beim immer noch vorhandenen, kleinkleinen Kirchturmdenken. Beim immer noch ausbaufähigem Nahverkehr – besonders gut erkennbar an den Essener Straßenbahnlinien, die an der Stadtgrenze zu Oberhausen einfach aufhören oder den Verbindungen abends und jenseits der Hauptstrecken. Bei den abgehängten Stadtteilen und öden Fußgängerzonen. Oder beim vorläufigen Scheitern des Regionalplans Ruhr, der seit 1966 erstmals wieder einen einheitlichen Plan für die Region in Sachen Siedlungsgebiete, Verkehrsinfrastruktur, Industrie- und Gewerbegebiete formulieren sollte und sich durch parteipolitisches Gezänk um Jahre verzögern könnte. Vor diesem Hintergrund klingt die Bewerbung für die Olympischen Spiele an der Ruhr im Jahr 2032 durchaus mutig.
Perspektiven, Visionen, Utopien
Das ist trotzdem kein Grund, mit dem gemeinsamen Pläneschmieden aufzuhören. Im Gegenteil – das strukturgewandelte, kohlelose Ruhrgebiet braucht neue Ideen und Allianzen für die kommenden Jahrzehnte. Wie das aussehen könnte, dazu soll der »Salon 2030« beitragen, der zum Ort einer Reihe von Debatten und Dialogen werden soll. Das Format findet im Rahmen des Jubiläumsprojekts »Zehn nach Zehn« auf Zollverein statt, das mit vielen Veranstaltungen an das Kulturhauptstadtjahr erinnert, das Jubiläum feiert und Wege in die nahe Zukunft zeigen will. Die teilnehmenden Akteur*innen wagen im »Salon 2030« den Blick zurück nach vorn – welche Perspektiven, Visionen und Utopien gibt es für diese Region, die sich im ständigen Wandel befindet? Wie kann eine »Kulturmetropole Ruhr« in den kommenden zehn Jahren aussehen? Die Themen der Panels sind »War da was? RUHR.2010 und die Folgen« (16. Januar), »Kulturelle Allianzen. Die Ruhr-Netzwerke“ (17. Januar.), »Kulturmetropole RUHR in Europa« (23. Januar), »Geschichte und Erinnerung. Die Zukunft der Industriekultur« (24. Januar) und »RUHR.2030. Die kommende Dekade« (25. Januar). Eingerahmt werden die Panels von Konzerten von u.a. »Wir hatten was mit Björn«, Metromara und dem Ensemble Repercussion.
Wünsche, Erinnerungen, Zitate
»Zehn nach Zehn« bietet zudem das rauschende Fest des Ruhr Museums, das seinen 10. Geburtstag mit freiem Eintritt, Familienaktionen und Höhenfeuerwerk feiert (11. + 12. Januar 2020). Der Lichtkünstler und Dramaturg Wolfram Lenssen bringt bis zum 25. Januar 2020 die historischen Fassaden mit Architekturprojektionen und Videomappings mit Bildern aus dem Jahr 2010 sowie Projektionen von Wünschen, Erinnerungen und Zitaten im Ehrenhof zum Leben. Im Industriewald auf der Gleisharfe erinnert der Parcours »Licht bei der Nacht« mit Licht- und Klanginstallationen an die Eröffnungsveranstaltung vor zehn Jahren. Fehlt nur noch der Schnee.
»Zehn nach Zehn«: 10. bis 25. Januar 2020
Das komplette Programm: www.zollverein.de/zehn-nach-zehn