In Weil am Rhein stapelten Herzog & de Meuron 2010 bei ihrem »Vitra-Haus« zwölf schmale Riegel übereinander. Die Giebelseiten zeigten die Form des »Urhauses«: Satteldächer! Ein Affront.
Dem aufrechten, der Moderne verpflichteten Architekten galten Schrägdächer, egal ob Sattel-, Walm- oder Krüppelwalm lange als »Unarchitektur«. Pult- und Scheddach bildeten eine gelegentlich geduldete Ausnahme. Das Satteldach aber war Ausdruck einer rückwärtsgewandten Bauweise und Gemütlichkeit, die allenfalls in historischen Städten oder Gebirgsregionen aus Traditionsgründen geduldet werden konnte. Architektur, die den Anspruch erhob, modern zu sein, musste seit dem Bauhaus selbstverständlich flach bedacht sein. Dass das bautechnisch eigentlich Unsinn ist, interessierte nicht. Der Purismus der Form machte die Probleme mit stehendem Wasser oder Schnee in den Augen der Ästheten um ein Vielfaches wett.
Duisburg: Das Landesarchiv NRW von Ortner & Ortner Baukunst
Der verspielte Umgang der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron mit der Urhausform blieb jedoch kein Einzelfall. Bei ihrem Entwurf für das 2014 fertiggestellte Landesarchiv NRW im Duisburger Innenhafen griffen auch die Österreicher Ortner & Ortner Baukunst darauf zurück. Aus dem Kern eines denkmalgeschützten Speichers der 1930er Jahren lassen sie einen geschlossenen Backsteinturm 76 Meter in die Höhe steigen und krönen ihn mit einem Satteldach. Die Fensterlosigkeit ergibt sich dabei aus der Nutzung als reiner Dokumentenspeicher. Die Konsequenz des architektonischen Zeichens wird betont durch die einheitliche Verwendung von Ziegeln für Wand und Dach und den Verzicht auf einen Dachüberstand. Ortner & Ortner versuchen gar nicht, das benötigte enorme Volumen aufzulösen oder zu verschleiern, sondern zeigen es selbstbewusst als solide und ausdrucksstarke Großform, die durch ihre Konsequenz alle Qualitäten einer identitätsstiftenden Landmarke bekommt.
Ratingen: Privathaus von Oliver Buddenberg und Inge Tauchmann
In viel kleinerem Maßstab versuchten sich bereits 2006 die Düsseldorfer Architekten Oliver Buddenberg und Inge Tauchmann bei einem Privathaus in Ratingen an der Wiederbelebung des Satteldachs. Die nicht ganz einfache Aufgabe: Auf einem dreieckigen Restgrundstück sollte ein Haus als Alterssitz für die Bauherrin entstehen. Auch hier kein Dachüberstand, um die Klarheit der Geometrie zu wahren. Das als Ruhenische vorgesehene Fenster im Schlafzimmer ist eine hübsche Architektenidee, liegt aber so einsehbar zur Straße, dass es wohl nur selten ohne Vorhang oder Jalousie zu sehen sein wird. Vor allem aber scheitert der Versuch, das Satteldach in die Moderne zu holen und ihm eine neue Bildhaftigkeit zu verleihen: Die Fassade aus Faserzementplatten erinnert arg an Legosteine. Das Dach in Aluminium-Wellblech gibt dem Haus die Anmutung eines Geräteschuppens. Das Heimelige wurde dem Satteldach zwar erfolgreich ausgetrieben, aber es bekommt auch keine neue Qualität.
Dass Satteldächer gelegentlich nur die Sprödheit von Nutzarchitektur verströmen, bekamen übrigens zuletzt auch Herzog & de Meuron zu spüren, als ihr Entwurf für das Museum der Moderne in Berlin kurz nach Veröffentlichung als »Schuppen« verhöhnt wurde. Ein kleiner Trost: Gebäude mit Flachdächern gelten manchem ja auch nur als öde »Kisten«.