Wenn sich Anfang November die feuchte Dunkelheit früh über Stadt und Land legt, rabimmelt und rabummelt es wieder auf das Vortrefflichste. Rund um den Martinstag ziehen Kindergärten und Schulklassen in Mannschaftsstärke mit schwankenden Laternen durch die Straßen. Angeführt von einem Reiter im roten Mantel und umtönt von den Mitgliedern des örtlichen Posaunenchors, die das Martinslied leicht schleppend darbieten, damit die Zugteilnehmer*innen ihnen nicht vorschnell davonlaufen.
Wie Rosenmontagszüge – nur ohne Kamelle
Vor dem Jahr 1900 war es Brauch, am Vorabend des Martintages Feuer zu entzünden. Da die damaligen Häuser und Dörfer zum großen Teil aus Holz bestanden, liefen sie ihn Gefahr, selbst zu Martinsfeuern zu werden. Als aus Sicherheitsgründen versucht wurde, dieses Brauchtum zurück zu drängen, reagierten die Rheinländer pragmatisch. Schließlich hatte man mit den Rosenmontagszügen gute Erfahrungen gemacht, warum also nicht ähnliche Züge organisieren, zwar ohne Kamelle, aber dafür mit Reiter und leuchtenden Lampions? So schnell lässt sich eine Tradition etablieren.
Wie schon in den 70er und 80er Jahren stellen die Martinszüge der Gegenwart Eltern und Kinder vor die zwei Glaubensfragen der Laternenbeschaffung: gekauft oder selbstgebastelt? Kerze oder elektrische Beleuchtung? Da bleibt nur, uns leicht sentimental für die selbst hergestellte Variante mit einer echten Kerze zu entscheiden. Dafür spricht einerseits das gemeinsame Basteln mit den Eltern oder Freund*innen, verbunden mit dem Erfolgserlebnis, am Ende etwas Eigenes stolz durch die Straßen tragen zu dürfen. Zum anderen rührt der flackernde Schein einer echten Flamme an die Ur-Instinkte seit der Steinzeit, als Wärme- und Sicherheitsversprechen, falls doch mal ein aggressives Mammut den Weg kreuzen sollte.
100 grinsende Monde
Eine Laterne fertig zu kaufen, ist zwar einfach, aber auch ein bisschen uninspiriert. Der lachende, gelb-blaue Mond in Plissee-Faltung ist zwar der Klassiker schlechthin, aber wer möchte schon einen Martinszug aus 100 grinsenden Monden? Da muss die selbstgebastelte Abwechslung her, die fantasievollen, windschiefen, unperfekten Lampions aus bunten Wachspapier. Erleuchtet von offenen Flammen, die zwar nicht ungefährlich sind, aber beim etwaigen Abfackeln der Laterne bei den Heranwachsenden früh das Gefühl der Verlustbewältigung vermitteln. Wieder was für’s Leben gelernt! Eine kühle LED-Beleuchtung, die chipgesteuert »flackert«, ist hingegen wie ein veganes Schnitzel oder Analogkäse – es erweckt den Anschein von etwas, kann diesen Anspruch aber nie einlösen.
Tradition heißt nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Das Gute bleibt erhalten und wird weiterentwickelt. In Zeiten des zunehmenden Verpackungsmülls ist das Upcycling, das Verwandeln von altem Material in neue Dinge, eine prima Idee. Weck-Gläser werden, bunt beklebt mit dünnem Seidenpapier, zu schönen Laternen und selbst leere Milchtüten sind kein Fall mehr für die gelbe Tonne, sondern verwandeln sich mit Fantasie zu beleuchteten Weltraumraketen für den Laternenumzug. Nehmt das, ihr Mondgesichter aus dem Kaufhaus!