Das Bauhaus in Dessau hat ein Konzert der Band »Feine Sahne Fischfilet« abgesagt. Aus Sorge, Rechte könnten dagegen aufmarschieren. Wo steht unsere Demokratie heute? Wie politisch war das Bauhaus? Ein Interview mit Michael Dreyer, Professor für Politische Theorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
kultur.west: Herr Dreyer, das Bauhaus wurde 1919 gegründet – wie sah die politische Gemengelage damals aus?
DREYER: Das Bauhaus war nicht zufällig in einer Zeit des Übergangs entstanden – vom Kaiserreich in die Weimarer Republik und damit in die erste deutsche Demokratie. Also in einer schwierigen Zeit, so kurz nach dem verlorenen Krieg, aber auch in einer Phase, in der das Gefühl weit verbreitet war, dass jetzt ein Aufbruch, etwas Neues erfolgt. Durch die neue demokratische Regierung war die Gründung ja auch überhaupt erst möglich geworden – durch staatliche Finanzierung.
kultur.west: Wie haben die Kulturgrößen der Zeit damals auf die Gründung reagiert?
DREYER: Das Ganze ist zunächst weniger zur Kenntnis genommen worden, als man sich das heute vorstellt. Viele Künstler sind ja auch erst durch das Bauhaus bekannt geworden und umgekehrt das Bauhaus durch sie. Anfang 1919 war gerade ein Weltkrieg verloren gegangen, da standen Friedensverhandlungen an, eine Verfassung musste verabschiedet werden, die Menschen kamen wieder aus einem schlimmen Hunger-Winter; da hatten viele andere Sorgen, als darauf zu achten, dass eine neue Kunstschule gegründet wurde. In Weimar selbst ist sie natürlich sehr wohl registriert worden. Aber auch nicht in dem positiven Sinne, in dem man sich heute gerne daran erinnert. Weimar war zu der Zeit eine kleine, sehr bürgerliche Residenzstadt, ohne Industrie, mit vielen Verwaltungsbeamten und Militär. Und nun kamen auf einmal diese schrägen Vögel daher.
kultur.west: Wie war denn das Selbstverständnis der Bauhäusler selbst?
DREYER: Das Bauhaus-Manifest zeigte schon sehr früh: Die Lebensreform war das große Ziel. Das Bauhaus wollte modernes Leben in der modernen Industriegesellschaft gestalten. Leute wie Gropius waren auch politisch sehr wach und wussten sehr genau einzuordnen, dass ab 1920 in Weimar, der Hauptstadt des neu gegründeten Landes Thüringen, auch eine Regierung sitzt, die links von der Mitte steht. Als sich das änderte und 1924 die Rechten die Regierung übernahmen, war das auch das Ende des Bauhauses in Weimar. Natürlich war es kein Zufall, dass man sich dann Dessau aussuchte – eine Arbeiterstadt, mit einer, wie man glaubte, soliden sozialdemokratischen Mehrheit.
kultur.west: Die Entwicklung des Bauhauses war also stark beeinflusst von der Politik. Aber wie politisch empfand es sich selbst – heute gilt es ja vor allem als ästhetische Marke…
DREYER: Das stimmt. Aber Politik spielte von Anfang an eine Rolle. Ich würde mir wünschen, dass mehr Ausstellungsmacher stärker im Bewusstsein hätten, dass das Bauhaus eine zutiefst politische Bewegung war.
kultur.west: Wurden denn am Bauhaus — auch öffentlich – politische Debatten geführt?
DREYER: Politische Debatten im engsten Sinn nicht. Man hat in die Bevölkerung durch die Bauhaus-Ausstellungen gewirkt. Damit waren auch politische Aspekte wie der soziale Wohnungsbau verbunden. Aber das Bauhaus wurde immer mehr in die Politik hineingezogen – allein durch enorme Anfeindungen. Wenn ich mich nicht mit der Politik beschäftige, dann heißt das nicht, dass die Politik sich nicht mit mir beschäftigt.
kultur.west: Die Kulturpolitik will das Bauhaus heute als Idealbild des guten Deutschlands verstanden wissen. Aber wie demokratisch ging es dort wirklich zu?
DREYER: Das Bauhaus war einerseits ein bisschen anarchisch aufgebaut und sollte zunächst keine großen Hierarchien haben. Andererseits war dann aber schon sehr schnell klar, wer das Sagen hatte, wer die Meister waren und wer die Schüler. Das eine solche Gruppe gerade auch in den schwierigen politischen Verhältnissen mit klarer Hand geführt werden musste – das war die Aufgabe von Gropius. Er mag ein Demokrat gewesen sein, aber ein theoretischer. Praktisch legte er schon großen Wert darauf, alles in der Hand zu haben.
kultur.west: Was halten Sie von der Konzertabsage des Dessauer Bauhauses an »Feine Sahne Fischfilet«?
DREYER: Ich kenne das Oeuvre dieser Band zu wenig, das ist nicht meine Musik. Es sind anscheinend einige bedenkliche Texte dabei. So kann man vielleicht die Frage stellen, ob diese Band wirklich eine gute Repräsentanz für das Bauhaus ist. Und ob sie überhaupt hätte eingeladen werden sollen. Nur: Wenn das erst einmal geschehen ist, dann ist eine solche Absage mit Verweis auf den potenziellen Aufmarsch Rechter natürlich fatal. Das ist auch etwas, das mit Sicherheit nicht im Sinne von Gropius gewesen wäre. Man kann davon ausgehen, dass die Bauhäusler sich in der Auseinandersetzung mit rechten Kräften nie versteckt hätten.
kultur.west: Rechte Tendenzen nehmen in unserem Land merklich zu. Müssen wir uns sorgen um unsere Demokratie?
DREYER: Die berühmt-berüchtigten Weimarer Verhältnisse haben wir nicht und die werden wir auch nicht kriegen. Gemeint sind damit die Verhältnisse von 1932, als es bei Straßenschlachten Dutzende von Toten gab. Das gibt es, Gott sei Dank, noch nicht. Es gibt einen zentralen Unterschied zwischen damals und heute: Die Weimarer Republik ist nicht untergegangen, sondern gezielt zerstört worden. Nicht durch das Volk, denn demokratische Mehrheiten hat es immer gegeben. Hitler ist nicht durch Wahlen an die Macht gekommen. Die Eliten aus Politik, Wirtschaft, Militär, Justiz und den Universitäten waren nur zum Teil demokratisch und damit das eigentliche Problem. Nicht unbedingt in Hinblick auf Hitler, aber in Hinblick auf die Beseitigung der Demokratie durch ein rechtskonservatives Regime. Das ist heute grundlegend anders. Antidemokratisch sind heute vielleicht Einzelpersonen, aber nicht große Teile der Eliten. Das lässt doch einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft schauen.
Michael Dreyer ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte in Jena und hat sich zuletzt stark für ein »Haus der Weimarer Republik« engagiert, das bis Mitte 2020 als »Forum der Demokratie« in Weimar entsteht. In seinen Forschungen geht es ihm auch darum, ein positiveres Bild der Weimarer Republik zu zeigen. »Vieles von dem, was wir heute in unserer Demokratie leben, wurde damals entwickelt.« Von der Verfassung über Betriebsrätegesetze bis zu Förderprogrammen für die Kunst am Bau.