Benedict Wintgens folgt in »Treibhaus Bonn« den Spuren des Schriftstellers Wolfgang Koeppen und des rheinischen Parlamentarismus.
Vor der Lektüre sollte man mal wieder die Suhrkamp-blaue Taschenbuch-Ausgabe von Wolfgang Koeppens »Das Treibhaus« aus dem Bücherregal holen; jenes Buch über die Bundeshauptstadt Bonn des Jahres 1953 und den einsamen Parlamentarier Keetenheuve. Ein wenig Atmosphäre und Koeppen-Sound zur Vorbereitung können nicht schaden: »Verkehrsvereine, Fremdenlockbetriebe nannten das Land die rheinische Reviera. Ein Treibhausklima gedieh im Kessel zwischen den Bergen, die Luft staute sich über dem Strom und seinen Ufern. Villen standen am Wasser, Rosen wurden gezüchtet, die Wohlhabenheit schritt mit der Heckenschere durch den Park, knirschenden Kies unter dem leichten Altersschuh, Keetenheuve würde nie dazugehören (…)«.
Nach dem Krieg aus dem Exil zurückgekehrt, arbeitet der Abgeordnete Keetenheuve daran mit, die parlamentarische Demokratie aufzubauen. Schon bald ernüchtert über Kanzler Adenauer und die Arbeit in der Opposition, später dann scheiternd – beim Kampf gegen die Wiederbewaffnung und im eigenen Privatleben. Dazu gibt es von Anfang an Korruption und Institutionen, in denen die alten Nazis schon wieder an den Hebeln sitzen. Koeppen zeichnete mit seinem Roman ein wenig optimistisches Bild der jungen Republik. Das Werk wurde nach seinem Erscheinen von großen Zeitungen flammend diskutiert, was seinen Höhepunkt in den Worten des Publizisten Fritz René Allemann – »Bonn ist nicht Weimar!« – fand. Da hatte sich die Diskussion längst vom Roman gelöst und war auf der gesellschaftliche Ebene angelangt.
Der Klappentext in Benedict Wintgens »Treibhaus Bonn« spricht von den »krummen Wegen«, auf denen nach und nach der deutsche Pluralismus entstand. Wintgens schreitet diese Wege vor dem Hintergrund von Koeppens Buch erneut ab, hat sich durch Archive gegraben und rekonstruiert die damalige Debatte und die Stadt Bonn bis ins kleinste Detail. Auch mittels der Architektur der modernen, verglasten Parlamentsgebäude, die mit einer großen Zahl von Gummibäumen begrünt waren, was den Eindruck eines Treibhauses noch weiter verstärkte. Wintgens hat sogar die chemische Zusammensetzung des PVC-Bodens recherchiert und die Vorhänge wiederentdeckt, die damals im Speisesaal des Plenarsaals hingen und zugezogen die Fläche in ein »abstraktes Gemälde« verwandeln sollten. Deren florales Dessin »Bonn« wurde bereits 1949 vom Spiegel knurrig als »bizarr-exotisch« rezensiert. »Treibhaus Bonn« ist Wintgens‘ überarbeitete Dissertation an der philosophischen Fakultät der Universität Bonn, die trotz des wissenschaftlichen Hintergrunds spannend zu lesen ist – man kann versinken, in dieser Kulturgeschichte der jungen, alten Republik.
Benedict Wintgens
»Treibhaus Bonn – Die politische Kulturgeschichte eines Romans«
Droste Verlag, Düsseldorf, 2019
Fachbuch, 620 Seiten, 68 Euro