Samstag, kurz nach 22 Uhr. Im Essener Stadtteil Steele liegen offensichtlich gleich mehrere Hunde begraben. Zwischen kaum noch bepflanzten Waschbetontrögen kommt Großstadtmelancholie auf. Ausgerechnet hier will die britische Zeitung »The Guardian« eine der zehn großartigsten Konzertlocations weltweit ausgemacht haben. Auf Platz eins: die spektakulären Cumberland Höhlen in Tennessee. Auf Platz zwei: die Bluegrass-Bar »Rocky Top« in Tokyo. Dann folgt bereits Essen-Steele mit der »Freak Show«. So zweifelhaft solche Listen auch sein mögen, machen sie zumindest neugierig auf die möglicherweise unentdeckte Sensation am urbanen Rand.
»Freak Show« – das ist Jahrmarkt, die bärtige Frau, der stärkste Mann der Welt, Kleinwüchsige und der Elefantenmensch, denen Tod Browning bereits 1932 ein filmisches Denkmal setzte. Später, in den 1960ern, waren es die Aussteiger, die Hippies, die Langhaarigen, der Begriff »Freak« bekam in der Folge eine positivere Konnotation und war lange mit Rockmusik verknüpft.
Neben dem taghell erleuchteten »Botan Stehcafé«, geht die schmale Tür der »Rock’n’Roll«-Bar fast unter, wäre darüber nicht der Schriftzug »Freak Show« in roten Lettern wie aus herabtropfendem Schleim zu lesen. Keine Frage: Die Jahrmarkt-Assoziation setzt sich fort. Erst recht, wenn es hinter der Tür eine Treppe hinunter geht, an deren Ende ein gefräßiges Monster mit gefletschten Zähnen und rotglühenden Augen wartet, als wäre hier die Einfahrt in eine Geisterbahn.
Wer seine Urängste gut im Griff hat, holt sich an der ebenfalls zähnefletschenden Theke erstmal ein Bier und lehnt ganz entspannt neben einem lebensgroßen Freddy Krueger an der Wand. Vor sieben Jahren haben Ela und Benny Nordvall die Kellerbar mit fast manischer Liebe zum Detail umgebaut. Die Stehtische sind Ölfässer, deren Oberfläche mit hunderten verschiedener Kronkorken bestückt sind. Neben dem DJ-Pult ist hinter einer Glasscheibe ein regelrechter Kiss-Altar zu bewundern und über der Tanzfläche leuchten die Umrisse einer E-Gitarre wie ein Sternbild. Das alles auf einer Fläche, die eher Bar als Club ist.
An diesem Abend laden Betty Lawless und Nils Torpex zum »80’s Metal Meltdown«: Def Leppard, Morbid Angels, W.A.S.P., Kiss und Mötley Crüe. Die Bandnamen finden sich auch auf den T-Shirts der jüngeren Gäste oder als Aufnäher auf der einen oder anderen Jeansweste wieder. Diejenigen, die die großen Zeiten dieser Bands noch wirklich miterlebt haben, sind eher ohne Kutte und in zivil da.
Kein reiner Metal-Club sei die »Freak Show«, betont Ela Nordvall und die Spielarten »Black« und »Death« hätten schon gar keinen Platz im Programm. Sowohl bei Konzerten wie den DJ-Abenden geht es quer durch den Gitarren-Garten. Eine Wochen nach dem Metal Meltdown ist die finnische Ska-Band »The Valkyrians« im Club. Johnny Cashs Konterfei verweist darauf, dass nur Barzahlung akzeptiert wird. Und spätestens mit der Karaoke-Party wird die »Freak Show« zur Stadtteilkneipe. So eindrucksvoll und auch obskur das Geisterbahn-Design des Clubs erst einmal anmutet, viel überraschender ist der zweite Blick und die Entdeckung, dass hier in Essen-Steele einiges zusammen kommt, was kaum vereinbar scheint: Die Metal-Kutte und die Wellensteyn-Jacke, der Vorstadtjugendliche und der musikverrückte Best-Ager, Menschen, die einfach nur ein Bier trinken wollen und solche, die wegen des Musik- und Konzertprogramms aus der ganzen Region anreisen.
www.freakshow-bar.de