»The Miseducation of Cameron Post« (Desiree Akhavan, USA 2018)
Camerons Blick bleibt skeptisch, ihre Miene verschlossen. Was in ihr vorgeht, wie ihrer Seele geschieht, lässt sich nur ahnen. Die schöne Chloe Grace Moretz (eine neue Nastassja Kinski) umspielt Camerons »Sündenbewusstsein« großartig. Wie soll sich »Gender-Confusion« auflösen? »Pray away the gay!« Die in Montana lebende, konservative Familie schickt den Teenager zur Umerziehung, nachdem sie Cameron beim Sex mit einer Freundin erwischt. »God’s Promise« heißt das Lager für sexuell nicht straight orientierte Jugendliche. Ein fundamentalistisch programmiertes Christentum will sie vom Schwul- und Lesbisch-Sein kurieren. »Teufelsaustreibung« mit sanfter Gewalt. »The Miseducation of Cameron Post«, prämiert mit dem Großen Jurypreis beim Sundance Festival, ist anders als Joel Edgertons »Der verlorene Sohn« weniger dramatisch aufgeladen, sondern stiller, konzentrierter und reflektierter angelegt. Mehr Implosion als Explosion. Eine leise Rebellion. Fort und frei.
11. April, 18 Uhr
»God exists, her Name ist Petrunya« (T. St. Mitevska, Mazedonien, 2019)
Petrunya nimmt sich die Freiheit. Sie stürzt sich in kalte Wasser und greift sich das geweihte Symbol. Das traditionelle Tauchen am Dreikönigstag, nach dem orthodoxen julianischen Kalender der 19. Januar, ist reine Männersache. Wie das Meiste in osteuropäischen Gesellschaften. Gedemütigt, umgeben von Tristesse, übergewichtig, arbeitslos, im Haus der Eltern lebend, bei der Jobsuche von Worten, Blicken und Händen eines Mannes beleidigt, sieht die Historikerin keine Perspektive. Die Kirche reagiert empört auf die weibliche »Blasphemie«. Die Polizei nimmt Petrunya unter Arrest. Draußen rottet sich frommes Volk zusammen. Eine Reporterin steht an ihrer Seite. Auch die Eltern. Eine Gesetzesbrecherin? Aber gegen welches Gesetz? Willensstark, couragiert, politisch wach und helle, geht es Petrunya (die beeindruckende Laiendarstellerin Zorica Nusheva) ums Prinzip. Nicht um Provokation, Glaube und Religion. Ihr Motiv ist der Wille zum Glück. Weniger Satire auf patriarchalische Strukturen und Machtverhältnisse, hat der ausdifferenzierte Realismus des Films Charme und Kraft des cinéma verité. In gewisser Weise geschieht ein Wunder: Petrunya verwandelt sich vom Lamm in eine Wölfin – auch wenn dies kein Märchen ist.
11. April, 20.30 Uhr
»Der Boden unter den Füßen« (Marie Kreutzer, Österreich, 2019)
Eine junge Frau schreckt aus dem Schlaf. Ist in Eile. Unentwegt. Muss fit sein, wach, resistent. Der Beruf verlangt 48-Stunden-Tage. Lola (Valerie Pachner) erfährt am Flughafen Wien, dass ihre schizophrene Schwester Conny (Pia Hierzegger) – wieder – mit einer Tabletten-Vergiftung in der Klinik liegt und in die Psychiatrie eingewiesen wird. Lola operiert hochkompetent als Unternehmensberaterin und ist liiert mit ihrer Chefin Elise (Mavie Hörbiger), die von gemeinsamen Projekten träumt. Leben als Zerreißprobe zwischen schwesterlicher Sorge und Vormunds-Pflicht, Angst- und Stress-Symptomen, dem Killerinstinkt, den ihr Job im radikal-kapitalistischen System erzwingt, Hotels, luxuriösen Business-Essen, dem Beziehungsversuch, der Leere aus Über-Erfüllung, der Überforderung und Einsamkeit. Ein intensiver Krisenreport, erzählt als Revolte eines Ichs gegen sich selbst. »Ich schau an mir herunter und kann mich gar nicht sehn, ich kann mich fortbewegen und kann nicht richtig gehn… Ich bin mit mir seit gestern nur noch entfernt verwandt. Als du auf mich geblickt hast, war alles leicht zu sehn. Mehr gibt’s nicht zu erklären, mehr gibt’s nicht zu verstehn.«
12. April, 20.30 Uhr, Schauburg (Kinostart am 16. Mai)
»The Beast in the Jungle« (Clara van Gool, NL / L 2019)
Maßvoll im Stil, doch radikal im Erkunden der Psyche seiner (zumeist) Heldinnen: Henry James erzählt an der Schwelle zur Moderne und diese kühn übertretend – von Fatalitäten. Von der unausweichlichen Bewegung des Schicksals, der zuletzt unerklärlichen Anziehung zwischen Menschen, dem Rätsel der Liebe. Hier ist es die Geschichte von May Bartram (Sarah Reynolds) und John Marcher (Dane Jeremy Hurst), der glaubt, etwas Vorherbestimmtes warte auf ihn – wie ein wildes Tier im Urwald. Das anonym Animalische bezeichnet das Erotische. In fantastisch farbglühenden Räumen treiben wie in leichter Trance die Figuren durch Epochen und Kulissen, in denen das Vorgestern des 19. Jahrhunderts, Gestern und Heute, Drinnen und Draußen, Tag und Nacht, Spuk und Traum ineinanderfließen. Dabei wirken die Ausflüge in die historische Vorzeit stimmiger als die Exkursionen in die von symbolischen Einsamkeits-Bildern geprägte Moderne. Die filmische Geisterstunde tanzt, exquisit und elegisch, aus der Reihe der Realität ins Surreale.
14. April, 15.30 Uhr, Schauburg
IFFF, 9. bis 14. April, Dortmund, Schauburg
www.frauenfilmfestival.eu