Paris wird mit Füßen getreten. Michael Houellebecq tut es in seinen Büchern. Die herrlich freisinnigen Schauspieler von Johan Simons tun es auch: bühnenbodenbedingt, auf dem Bert Neumann den Stadtplan der französischen Kapitale ausbreitet. Später schmettert Mireille Mathieu die Marseillaise. An dem Doppelabend der zwei Roman-Adaptionen folgt auf die umdüsterte „Plattform“ als Satyrspiel „Unterwerfung“. Satyrhaft auch ist die lüsterne Sucht und Sehnsucht, die Houellebecqs unheldische Frauenhelden umtreibt.
Mit himmelstürzendem Knalleffekt fällt ein Berg Müll auf Bochums Bühne: Matratzen, Plastikstühle, Klamotten, Plunder. In die Zivilisationsreste richten sich ein und tauchen unter: der Kultur-Beamte Michel und nach der Pause der von der Sorbonne entlassene Literaturprofessor François. Der Huysmans-Spezialist kriecht in einem Frankreich, das zur radikal gemäßigten Islamischen Republik wurde, zu Kreuze und bekennt sich zum Koran. Beide Bürger spielt grandios Stefan Hunstein: ein unerwachsener Mann, der seine Genital-Steuerung ungeniert offenlegt, als würde ein Junge seine Pfadfinder-Wimpel vorzeigen, der sich in Rage redet, hysterisch vor Geilheit, gedemütigt vom Unglück und vom Glück gewiegt. Während einer Pauschalreise in Thailand lernt Michel die Traumfrau Valérie (Karin Moog) kennen, die zum Schluss durch einen islamistischen Anschlag getötet wird. Michel aber fällt aus der Welt.
Houellebecq und seine Psychopathologien des schlappen westlichen Mannes in einer herrenlosen Schöpfung sollten auf kleiner Flamme garen. Das gelingt in Bochum meisterhaft. Simons stellt die Figuren in ein indirektes Selbstverhältnis. Lässt die verzweifelte Komik des Menschseins sehen, die sich steigert, wenn aus einer Person zwei und ein Paar werden, das seine Sex-Gymnastik referiert. Er entdeckt bei Houellebecq das Konversationsstück einer unkultiviert fiesen Yasmina Reza. Lässig großzügig, in höherer Heiterkeit und zauberischer Ironie schafft Simons souverän einfache szenische Auflösungen für Situationen und Kombinationen. Männer spielen Frauen. Sex gleicht einer Hausputz-Aufgabe. Die jeweils zwei Stunden tangieren den Slapstick und die Soap, verfolgen die Ab-Wege religiöser Inbrunst und zerdeppern Gewissheiten. Vergnügt erschüttert schauen wir dem umstandslos inszenierten Krisenreport über ökonomische, politische, moralische und Geschlechter-Verhältnisse zu.
Die Idiosynkrasien der Durchschnittsmänner Michel und François, die nur auf der Matratze Ruhe finden, sind zum Gotterbarmen. Weshalb Bachs Matthäus-Passion erklingt. In Simons’ europäischem Anti-Repräsentationstheater ist der Lack ab: Darunter liegt das eigentliche Material. Das ist die Härte. Houellebecq, der Untergangsprophet unseres Fin de siècle, wird zum Existential-Clown. Zum Trost lachen wir uns halb kaputt.
Aufführungen:
„Plattform / Unterwerfung“: 27.1. & 17. 2. / „Plattform“: 29.1. & 7.2. / „Unterwerfung“: 30.1. & 8.2.