Was macht Richard Siegal denn jetzt? Der Meister hochenergetischer Choreographien – zumeist getrieben von knackig-pumpenden Techno-Beats – lässt bei der Uraufführung seines neuen Stückes das Publikum lange auf den Tanz warten. Dabei klingt der Titel „Roughhouse“ erstmal ganz nach dem, wofür Siegal bekannt ist. Dass es kein reiner Tanzabend wird, hätte man allerdings ahnen können: Nur drei Tänzerinnen und ein Tänzer von Siegals Compagnie „Ballet Of Difference“ sind an der Produktion beteiligt, aber auch fünf Schauspielerinnen und Schauspieler des Kölner Schauspiels. Doch Siegal ist einen guten Schritt weiter gegangen, als zu erwarten war, und hat einen eigenen Text geschrieben. Nicht wirklich ein zusammenhängendes Stück, sondern eher eine Revue, eine Folge von Szenen, manchmal fast Sketchen und Assoziationen rund um das Thema Repräsentation.
Yuri Englert eröffnet den Abend zunächst als eine Art Conferencier, der erklärt, dass man das Stück auf Englisch spiele. Ein paar kleine Interaktionen mit dem Publikum zur Auflockerung weiter, testet er die Sprachkenntnisse des Publikums mit einem englischsprachigen Witz, um danach schrittweise in schrägem Kauderwelsch ins Englische hinüberzugleiten. Was dann folgt, ist eine atemlos dahinrasende Farce. Kein Kalauer ist zu platt („My next guest was held captive for over two years by smelly pirates.“ „Not smelly. Smally.“ „Not smally. Somali.“) Kein Thema zu aktuell. Ja, sich mit den Repräsentationsmitteln des Theaters genau über diese Mittel Gedanken zu machen, ist nicht neu. Doch Siegal verknüpft die Überlegungen mit jeder Menge aktueller Diskurse. #MeToo wird da genauso in die Waagschale geworfen wie kulturelle Aneignung, Feminismus sowieso, Internet und Fakenews, Kolonialismus und Wertedebatte.
Nichts davon wird mit dem gebührenden Ernst verhandelt und schon gar nicht politisch korrekt. Und das funktioniert genau deshalb hervorragend, weil es in rasendem Tempo, bei brillantem Timing abgehandelt wird. Da ist dann Siegal wieder ganz bei seinen Qualitäten und geht mit dem Text wie mit Bewegung um. Jedes Wort sitzt, wie auch in seinen Choreographien jeder Schritt perfekt sein muss, weil sonst alles auseinander bricht.
Wie schon bei „Mass“ von Leonard Bernstein am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen gelingt auch in Köln Siegal wieder, sein Ensemble trotz ganz unterschiedlicher Voraussetzungen zu einem Körper zusammenzuschweißen. Kaum ist zu unterscheiden, wer vom Schauspiel und wer vom Tanz kommt. Fast noch beachtlicher als die Bewegungsfähigkeiten der Schauspielerinnen und Schauspieler ist die Präzision der sprechenden Tänzerinnen und des Tänzers.
Im letzten Drittel zerfasert dann der Abend etwas. Das Tempo nimmt merklich ab und die Dichte der Themen ebenfalls. Hier choreographiert Siegal auch noch einige schöne Momente mit den Mitgliedern des „Ballet Of Difference“. Diese ruhigere Phase hat mit ihrer großen assoziativen Offenheit durchaus auch ihre Qualität, wirkt aber nach der überdreht, irren ersten Hälfte etwas erschöpft.
Richard Siegal geht mit dem Brechen aller möglichen Erwartungen ein extrem hohes Risiko ein. Was ist „Roughhouse“? Eine neue Form des Tanztheaters oder ein choreographisches Theater? Sprachchoreographie? Das wird sich wohl erst entscheiden lassen, wenn klar ist, ob es für Richard Siegal ein einmaliger Versuch bleibt, oder ob er an genreübergreifenden Formen weiterarbeitet. Derzeit scheint ihm jedes Experiment recht zu sein. Und so lange er seine eigene Lust am Ausprobieren so überzeugend auf sein Ensemble übertragen kann, bleibt es auf jeden Fall spannend.