Es ist eine Gretchenfrage, die die schottische Performerin Claire Cunningham zum Anlass und Ausgangspunkt ihrer Arbeit „Guide Gods“ nimmt: „Religion, wie hältst du es mit den Behinderten?“ So könnte sie lauten. Cunningham, die sich selbst und selbstbewusst als „disabled“ (also behindert) bezeichnet, nimmt dieser Frage gleich zu Beginn jede Schwere. Sie habe sich die Frage so nie gestellt und sei eher zufällig darauf gestoßen. Doch dann war ihr Interesse daran doch groß genug, dass sie sich mit behinderten Menschen verschiedenster Religionen darüber unterhielt. Und das immer bei einer Tasse Tee. Sehr viel Tee habe sie während der Recherche trinken müssen und dabei auch gleich noch entdeckt, dass durch das gemeinsame Teetrinken der Weltfrieden mühelos hergestellt werden könnte. Was sie gerade höchst pathetisch verkündet hat, nimmt sie gleich wieder zurück, indem sie gesteht, dass sie eigentlich gar keinen Tee mag.
Im Kreis um eine kleine weiße Spielfläche sitzt das Publikum. Auf der einen Seite erhebt sich ein Portal aus Krücken, auf der anderen führen drei Stufen zu einem Regal mit Büchern, religiösem Nippes und Teetassen. Derek Nisbet begleitet die Performance mit Harmonium und Geige. Einmal auch mit Klangschale. „Please stop this, it sounds like a Tinnitus“, ermahnt Cunningham. Die gesamte Performance wird von einer Hörfassung für Sehbehinderte begleitet und auf zwei Bildschirmen deutsch untertitelt.
Claire Cunnigham erzählt, wie sie in Buddhismus und Hinduismus, im Judentum, Islam und Christentum, bei Sikhs und den Jedi nach dem Umgang der Religionen mit Behinderten forschte. Und weil sie das immer im persönlichen Gespräch mit Menschen tut, die selbst betroffen sind, sind es vor allem sehr persönliche Interpretationen, von denen der Zuschauer in ihren Erzählungen und Tonzuspielungen erfährt. So wird „Guide Gods“ nie zum religionswissenschaftlichen Seminar, sondern bleibt ganz nah am Menschen. Gleichzeitig öffnen die oft widersprüchlichen Meinungen einen weiteren Blick auf das Wesen der Religion an sich. Was bedeutet der Glaube den Menschen?
Wo hilft er und wo stört er? Und was bedeutet eine Behinderung? Bedeutet sie überhaupt etwas? Oder ist sie nur ein Unterschied wie andere auch? Wenn Cunnigham von Nisbet begleitet christliche Lieder singt und schnell feststellen muss, dass es darin allzuoft darum geht, dass Behinderte von ihren Gebrechen geheilt werden, dann erregt das zunächst ihren Widerwillen. Sie selbst sieht ihre angeborene Einschränkung nicht als etwas an, das beseitigt werden müsste. Doch dann wird ihr klar, dass die Behindertenheilung letztlich das perfekte Instrument für Jesus war, sich zu legitimieren. Und längst erzählt Cunnigham nicht mehr nur von Behinderung und Religion, sondern lässt das Publikum eigene Gedanken über kulturelle Differenz, soziale Zuschreibung und den zwischenmenschlichen Umgang folgen.
Doch „Guide Gods“ ist nicht nur ein Vortrag mit medialer Unterstützung. Cunnigham macht gleich zu Beginn die Teetasse zum allgegenwärtigen szenischen Zeichen, mit dem all ihre Erfahrungen und Überlegungen illustriert werden. Sie arrangiert unterschiedlichste Tassen auf der Spielfläche, lässt sie singen, indem sie sie umgekehrt über den Tanzboden schiebt und schwebt in einem wunderbaren Tanz auf ihre Krücken gestützt darüber hinweg, nur ganz zart die Tassen mit der Zehenspitze berührend. Cunnigham beherrscht es perfekt, mit dem Publikum eine vertraute Gemeinschaft auf Zeit zu bilden. Dafür muss sie nur alle einmal mit Handschlag willkommen heißen und im letzten Teil jedem und jeder einzelnen eine einfache Frage stellen. Dass es ihr gelingt, dabei keine Gefühle des Unangenehmen und Peinlichen aufkommen zu lassen, ist bemerkenswert. Es ist ihre leicht kühle und immer auf höfliche Distanz bedachte Art, gleichzeitig ihre Direktheit, die niemandem zu nahe tritt. Eine Privatheit, die sie in ihren Performances zeigt, die niemals aufdringlich ist, die immer allen die Möglichkeit einräumt, sich nicht darauf einzulassen. Und so endet ihre Performance auch mit einer gemeinsamen Tasse Tee. Ob man dabei mit ihr ins Gespräch kommen möchte oder lieber alleine bleibt – das stellt Cunnigham ausdrücklich jeder und jedem frei.
Weitere Vorstellungen: 12., 14., 15. November 2018, 20 Uhr