Schöne Aussichten. Das Panorama mit Drachenfels, Rolandseck und Abtei Nonnenwerth lädt zum Ausflug. Die Nornen treffen sich zum Kaffeekränzchen im Gartenlokal mit Rheinblick. Die Dämchen weben wohl kaum am Schicksalsfaden. Eher stricken sie einen Blaustrumpf. Während der Wagnerianer Thomas Mann den Mythos ins Humane umfunktionieren wollte, soll er bei Dietrich W. Hilsdorf – auch – als trivial kenntlich sein. Der Kellner fragt seine Kundschaft für die Bestellung: „Das Gleiche wie immer?“. Nicht anders betrachtet es der „Ring“-Regisseur: Ewiges Spiel. Wiederholungszwang. Immer Theater, sogar mit Souffleurs-Muschel an der Rampe des Düsseldorfer Opernhauses.
Aber am Ende – die Götter sind längst tot oder sollten es sein, doch Wotan darf noch mal seine müde Fahrrad-Aktion aus „Siegfried“ vorführen, auch das Menschengeschlecht ist vergänglich, nur der Rhein, der fließt – erlischt nicht das Erden-Licht. Es geht an: im Parkett der Rheinoper. Also doch helle Utopie? Mit einem Text von Botho Strauß wird das unerschöpfliche, reiche Archiv der Erinnerung, wird der Speicher der Überlieferung aufgerufen. Ja, wäre das nur der Impetus und Appell der vier „Ring“-Abende mitsamt Finale gewesen!
Auf Dieter Richters Bühne (abermals hält das bunt blinkende Varieté-Portal den ganzen Laden zusammen) dümpelt ein Schiffswrack. Die MS WODAN, rostig wie John Hustons Film-Dampfer „African Queen“, ist Fortführung des Helicopters („Walküre“) und der Dampflok („Siegfried“). Brünnhilde hält die Wacht an Bord und schmückt ein Weihnachtsbäumchen. Muss man das bürgerliche Heldenleben partout so banal demontieren? Oder mit einem blödsinnigen Volkschor der Gibichingen, uniformiert zur Karnevalsgesellschaft. Das ist so wenig kritisch grundiert wie – während Siegfrieds Trauermarsch – das Abflaggen sämtlicher deutscher Reichs-, Staats- und Republikflaggen bis hin zu einem weißen Stück Stoff: Kapitulation! Ja, aber vor dem Politischen. Hilsdorf rettet sich aus flachen Gewässern, wo Gunthers Gibichingen ‚volle Pulle’ eine Art Kaperkapitäne sind, hinauf auf die Metaebene, indem er eine sich ständig reproduzierende Kunstproduktion zur Deutungsschablone nimmt. Nebenbei zieht er mal spöttisch die Brecht-Gardine auf.
Hochdramatisch erzählen tut Hilsdorf gewissermaßen wider besseres Wissen dennoch: intensiv den düsteren Trauma-Erbe-Dialog des unfrohen Hagen (wuchtig, stabil, die Ruhe selbst: Hans-Peter König – die größte Leistung des Abends neben Linda Watson) mit seinem Underdog-Vater Alberich (Michael Kraus). Der gibt ihm als Rachewerkzeug den Mörder-Speer für Siegfried an die Hand und mahnt den Sohn stumm die Lippen formend zur „Treue“. Watsons verratene Brünnhilde in ihrem „blühenden Leid“ und weltenstürzenden Jammer, ihrem sie zerreißenden Liebes-Zorn, ihrer maßlosen Emotion ist das absolute Zentrum der „Götterdämmerung“, die Axel Kober mit den Düsseldorfer Symphonikern sinnlich und wuchtig musiziert. Da kommt der bedröppelt in der Ecke stehende, sich am liebsten unsichtbar machen wollende Siegfried (Michael Weinius) nicht mit.
Ein in sich geschlossener „Ring des Nibelungen“ ist es nicht geworden. „Weißt du, wie das wird?“, fragen die Nornen. Bereits nach dem „Rheingold“ war man um skeptische Antwort nicht verlegen. Wagners Musikdrama durchkreuzen, auf Distanz halten, ihm zitathaft begegnen, gelingt bis zu dem Moment, da es lichterloh brennt. Das Feuer des Weltenbrandes verzehrt Inszenierungs-Absichten wie leicht entflammbares Papier.
Aufführungen: 18. und 25. November, 2. Dezember, Rheinoper, Düsseldorf