Jacques Tondelli, Schriftsteller, Ende 30, hat den Drachen geritten. Er hatte komplizierte Liebesbeziehungen und Cruising-Affären, hat einen kleinen Sohn, Loulou, ist HIV-infiziert und wird von heftigen Symptomen attackiert. Er besitzt die schwermütige Souveränität dessen, der Whitman, Auden, Rimbaud zitieren kann, der die schwulen Codes verinnerlicht hat und sie lebt – nicht allein in der Kunst. Zuhause hängt das Warhol-Plakat zu Fassbinders »Querelle«, er hört Händel-Arien und steht vor dem Theater, wo Bob Wilsons »Orlando«-Inszenierung mit Isabelle Huppert läuft.
Jacques (Pierre Deladonchamps) hat die Ahnung des Endes und die Möglichkeit vor Augen, den Tod selbst herbeizuführen. In Rennes in einem Kino, während Jane Campions »Das Piano« in blaue Tiefen zieht, lernt er den 22-jährigen Arthur (Vincent Lacoste) kennen, der Filme machen will, für Sentimentalitäten beim Sex nichts übrig hat, aber doch von Jacques nicht lassen will und bedürftig ist nach Zuwendung. Sie bleiben von fern in Kontakt, aber als Arthur ihn in Paris besucht, lässt sich Jacques, dem es schlecht geht, zunächst verleugnen. Wie soll noch etwas wie diese Beziehung möglich sein – jetzt? Mutlos, zu träumen, zu hoffen, zu wagen. Jacques hält es gerade noch mit sich selbst aus, aber auch das kaum.
Jacques ist ein Bruder des Fotografen Romain aus François Ozons »Die Zeit die bleibt« und ebenfalls beinahe bereit, allein zu sterben. Einmal blickt Arthur im Museum Picassos Harlekin von 1923 ins Angesicht; dann geht er an die Gräber von Koltès und Truffaut, den großen Erzählern der Passion Liebe. Man spürt in »Sorry Angel«, dass sein Autor und Regisseur Christophe Honoré sich entlang seiner Lebensthemen bewegt. Situiert in den frühen 90ern, dem Aids-Jahrzehnt, sehen wir die als durchlässig gezeigte Gay-Community, in der weder Alter noch Status eine Rolle zu spielen scheinen, sondern etwas anderes: die Gegenkultur zu den Gesetzmäßigkeiten der Gesellschaft.
»Sorry Angel«, Regie: Christophe Honoré, F 2018, 111 Min., Start: 24. Oktober 2018