Einmal im Monat schreibt Volker K. Belghaus über Design im Alltag. Dieses Mal über: den Paternoster.
Man könnte jetzt bewusst wortwitzig beginnen, einen Geistlichen im Fahrstuhl abbilden und »Pater Noster« darunter schreiben. Der Gag ist aber, selbst hier an dieser Stelle, zu flach – vor allem für ein Magazin mit dem Schwerpunkt »Oben«. Wobei der kirchliche Vergleich nicht weit hergeholt ist. Das lateinische Wort pater noster bedeutet »Vater unser« und hat mit dem Rosenkranz zu tun. Bei der Gebetskette folgt auf zehn kleine Perlen für jeweils ein Ave Maria eine wesentliche größere, bei der das Vaterunser, lateinisch paternoster, gesprochen wird. Der Rosenkranz wurde früher auch Paternosterschnur genannt, da in den Umlaufaufzügen die Kabinen wie an einer Schnur aufgereiht waren.
Der erste Paternoster wurde 1876 in England entwickelt und in das Londoner Grand Post Office eingebaut, um die Pakete durch die Etagen zu transportieren. An Personenbeförderung dachte man erst 1882; zuerst mit Kettenantrieb, später mit Dampf. Im Jahr 1925 wurde im Hansa-Hochhaus in Köln der für kurze Zeit höchste Paternoster der Welt in Betrieb genommen. 1936 hatte Hamburg die größte Paternosterdichte Deutschlands, was mit dem Hafen und den vielen Handels- und Kontorhäusern zu tun hatte. Im Volksmund wurde er spöttisch »Proletenbagger« genannt, in dem sich die Angestellten drängelten, während die Direktoren den separaten und geschlossenen Aufzug, den »Bonzenheber«, bevorzugten.
Der Paternoster steht bis heute für eine gemütliche Art des Reisens zwischen den Stockwerken. Gerade in öffentlichen Gebäuden rumpelten die Kabinen schon leicht abgewetzt durch die Schächte, bewehrt mit massiven Griffen an den Ausstiegen, die fremden Besuchern ein Gefühl von Sicherheit gaben. Mitarbeiter schlenderten bewusst lässig in den Paternoster, während der Ungeübte hochkonzentriert mit einem großen Schritt schnell auf die Plattform trat. Aber keine Angst – die Geschwindigkeit von 0,25 Metern pro Sekunde sorgt in der Regel nicht für abgetrennte Gliedmaßen wie in schaurigen Splatterfilmen. Außerdem ist ein Paternoster kein Turbolift zur Brücke der USS Enterprise, sondern ein behäbig-bürokratischer »Personen-Umlaufaufzug«, der meist Abteilungen wie »Schadensregulierung M–Z« zum Ziel hat.
Die Apparatur passte hervorragend in die Wirtschaftswunderzeit. Es ging aufwärts, und das auf Dauer. Dachte man zumindest, bis höhere Sicherheits- und Brandschutzmaßnahmen dazu führten, dass ab 1974 in West-Deutschland keine Paternoster mehr in Betrieb genommen werden durften. Ab 1994 sah eine Verordnung die generelle Stilllegung bis 2004 vor. Der »Verein zur Rettung der letzten Personenumlaufaufzüge« protestierte erfolgreich, die Änderung wurde aufgehoben. Heute weht den verbliebenen Paternostern der Odem von müde gewordener Technologie an. Moderne Wolkenkratzer werden immer höher, da kommt man mit Paternostern nicht weit. Stattdessen entwickelt ThyssenKrupp magnetisch angetriebene Aufzüge, die sogar waagerecht fahren können. Schlussendlich sei all jenen Angsthasen gesagt, was einem passiert, wenn die Fahrkörbe des Paternosters im Dachgeschoss die Richtung nach unten wechseln: Nichts.