Konzertsaal, moderne Kirchenarchitektur, eine Kongresshalle, wie sie in Amerika von Fernsehpredigern genutzt wird. Der Bühnenraum in hellem Holz kann das alles sein, auch weil sich die Konstruktion von Stefan Mayer während der gut zwei pausenlosen Stunden von Leonard Bernsteins „Mass“ am Musiktheater in Gelsenkirchen überraschend wandlungsfähig zeigt.
„Ein Theaterstück für Tänzer, Sänger und Musiker“ hatte Bernstein seine Komposition genannt. Er hoffte, dass „Mass“ zum großen amerikanischen Werk des 20. Jahrhunderts werden würde und er sich vom Ruf des One-Hit-Wonders, der seit der „Westside Story“ an ihm haftete, lösen würde. Die Uraufführung 1971 wurde ein Flop. Nicht wegen der Musik, in der sich Bernstein auf der Höhe seines Einfallsreichtums zeigt, sondern wegen der eigenartigen Form. Sie folgt der Liturgie, ist ein Oratorium, aber auch ein Musical über eine Gruppe von Menschen, die gegen eine überholte Form des Glaubens rebellieren.
Das Musiktheater im Revier zeigt weltweit die einzige szenische Umsetzung von "Mass" zum 100. Geburtstag des Komponisten. Richard Siegal besorgt Inszenierung und Choreographie. Am besten ist der ehemalige Tänzer von William Forsythe immer dann, wenn er Bewegung nur aus der Musik heraus entwickelt. Auch hier überfrachtet er nicht das Stück mit zusätzlicher Bedeutung. Doch es gelingt ihm Außerordentliches: Siegal führt Ballett, Chor, Kinderchor, Orchestermusiker und Opernsolisten zu einem einzigen Ensemble, einem Körper zusammen.
Eine Schlüsselposition nimmt dabei der Tänzer Paul Calderone ein, der eine der Hauptpartien singt und stimmlich neben dem Opernensemble, das sich im Blues-Ton sichtlich wohl fühlt, und dem ausgewiesenen Musical-Spezialisten Henrik Wagner, der den Celebrant singt, locker besteht. Das Konstruierte von „Mass“ – in Gelsenkirchen ist davon nichts zu spüren.