Kurz vor der Sommerpause spielte das Tanztheater Wuppertal noch einmal ganz groß auf, nur leider: Nicht auf der Bühne, wo man auf den großen künstlerischen Wurf seit dem Tod von Pina Bausch 2009 vergebens wartet. Nein, das böse Kabale-Drama vollzog sich leider im realen Leben zwischen dem Geschäftsführer Dirk Hesse und der erst vor einem Jahr ins Amt berufenen künstlerischen Leiterin Adolphe Binder. Offenbar eine Liaison impossible, an der mehrere Mediationsversuche scheiterten. Hesse erhebt schwere Vorwürfe gegen Binder, die einer allzu bereitwillig skandalisierenden Presse zugespielt wurden. Sie habe, hieß es etwa, keinen realisierbaren Spielplan für die kommende Saison vorgelegt. Der Beirat des Tanztheaters musste schnell entscheiden. Sein Verdikt: fristlose Kündigung für Binder, baldiges – angeblich freiwilliges – Ausscheiden von Dirk Hesse. In wenigen Monaten steht die Truppe somit nach derzeitigem Stand komplett ohne Leitung da und die vielversprechende Aufbau-Arbeit des letzten Jahres? Ein Scherbenhaufen.
kultur.west hat viele Künstler, Kuratoren, Vertraute mit dem Tanztheater Wuppertal gebeten, ob sie uns ihre Wünsche, Visionen für die Kompanie schreiben könnten. Viele reagierten ratlos oder wollten sich in der heiklen Situation nicht öffentlich positionieren, und das Tanztheater selbst antwortete gar nicht erst. Hier ein paar Stimmen von Mutigen, die es nach langem Überlegen doch taten:
Martin Schläpfer, Direktor des Ballett am Rhein: Es ist alarmierend und erschreckend, wie schnell etwas kaputt gehen kann, auch gemacht wird, wie fragil alles ist, wie viel Achtsamkeit und Verantwortungsbewusstsein von Nöten wären. Ich denke, dieser Übergang hätte Chancen und Zeit mehr als verdient! Für mich persönlich, ganz aus dem Bauch heraus, gibt es jetzt nur eine Lösung: Einen großen Künstler und eine große Persönlichkeit, wie es Sidi Larbi Cherkaoui wäre, für Wuppertal zu gewinnen! Jemand, der durch seine künstlerische Potenz die Institution neu definieren, aber auch erhalten kann. Ob ein solch permanent international agierender Künstler bereit wäre, sich vor allem für nur »einen Kirchenraum« zu engagieren – das weiß ich nicht? Aber das müsste sein!
Marietta Piekenbrock, war zuletzt Programmdirektorin der Berliner Volksbühne:
Gerade nach meinen Erfahrungen an der Volksbühne Berlin halte ich an einer Formel fest: Es muss Schluss sein mit dem sentimentalischen Romantizismus zu glauben, man fände eine Persönlichkeit, die die Kompanie so weiterführt wie sie von Pina Bausch geleitet wurde. Der eigentliche Respekt vor einem solchen Talent und Oeuvre besteht darin, zu akzeptieren: Es gibt keinen zweiten Frank Castorf für die Volksbühne. Es gibt keine zweite Pina Bausch für Wuppertal. Es ist doch gespenstisch, diese Stilformen noch weitere Jahrzehnte kultivieren zu wollen. Pina Bausch hat das Tor aufgestoßen zu einer neuen Welt der Bewegung, der Form, des Ausdrucks. Sie war eine Pionierfigur. Jetzt wird jemand gebraucht, der weder vor ihrem Vermächtnis noch vor dem Risiko der eigenen Innovationskraft zurückschreckt. Und die Kompanie ist eingeladen, sich einer völlig anderen Handschrift anzuvertrauen. Denn nicht das Restaurative, sondern das Neue ist die Signatur dieses Tanztheaters.
Gert Weigelt, zählt zu den wichtigsten Tanzfotografen Deutschlands:
Nach Pinas Tod war ich nie wieder in Wuppertal und gedenke das auch in Zukunft so zu halten. Für mich war Pina das Tanztheater und das Tanztheater Pina. Eine symbiotische Verbindung. Stirbt der eine, stirbt der andere mit. Wie sollte ich also bei dieser Einstellung »gute Ratschläge« erteilen? Im Übrigen möchte ich in diesem Kontext an den Satz von Karl Valentin erinnern: »Es ist schon alles gesagt worden, aber noch nicht von jedem.
Raimund Hoghe, war von 1980 bis 1989 Dramaturg beim Tanztheater Pina Bausch:
Das Theater ist wie das Leben, wie die Liebe: nicht wiederholbar. Für mich lebt das Theater im Moment und in der Erinnerung – in der Erinnerung der Menschen auf der Bühne und der Zuschauer. Man kann Aufzeichnungen von Aufführungen machen, ein Archiv einrichten, aber all das ist etwas anderes als die Vorstellung im Theater. Für mich sind die Stücke von Pina Bausch nicht konservierbar. Ich hätte mir nach Pinas Tod eine Lösung gewünscht, wie sie der kurz nach ihr gestorbene US-amerikanische Choreograf Merce Cunningham testamentarisch verfügt hat: Die Kompanie tourt für eine vielleicht auf zwei Jahre begrenzte Zeit noch einmal mit den Stücken durch die Welt und löst sich danach auf. Das ist ein harter Schnitt, aber das Theater ist schließlich auch ein Ort, der uns an unsere Endlichkeit erinnert.
Ben J. Riepe, Choreograf:
Es ist wahrscheinlich schwierig, etwas wirklich Neues im Rahmen der Pina Bausch Kompanie zu schaffen. Denn hier ist alles vollkommen durchdrungen von ihrem Geist. Und das ist auch gut so. Hier muss eine sensible Leitung gefunden werden, mit großem Verständnis für das Oeuvre und zugleich der choreografischen Erfahrung und Offenheit, den Stücken immer wieder Leben einzuhauchen. Darüber hinaus ist jetzt der perfekte Augenblick, die ungeheure Innovationskraft Pina Bauschs auf eine neue Stufe zu heben: mit einer weitsichtigen Aufstellung eines Internationalen Pina Bausch Zentrums. Als fortgeführtes Erbe und ermöglichter Freiraum, für den Pina immer stand. Raum für Neues, Bewegendes, Überschreitendes. TänzerInnen der Kompanie unbedingt einbinden!