Mit einem Schwein den Londoner Flughafen lahmzulegen, das muss man auch erst mal schaffen. Was besseres konnte selbst einer Band wie Pink Floyd in Sachen Aufmerksamkeits-Ökonomie kaum passieren. Vor allem, wenn man ein neues Album auf den Markt bringen will, wie damals im Winter 1976. Für ihre zehnte Platte »Animals« sollte das Cover-Foto geschossen werden – ein riesiges, aufgeblasenes Schwein, das zwischen den markanten Schornsteinen der Battersea Power Station schweben sollte. Was heute schnell digital zusammengebastelt wäre, war damals überaus aufwendig. Deshalb wurde ein mit Helium gefülltes Stoffschwein, neun Meter lang und fast fünf Meter hoch, an dünnen Seilen über dem Kraftwerk vertäut. Für den Fall, dass es sich losreißen sollte, stand extra ein Scharfschütze bereit, um die Sau vom Himmel zu holen. Leider war das Wetter zu sonnig, in der Hoffnung auf die gewünschten dunklen Wolken verschob man das Shooting um einen Tag. Diesmal ohne den Schützen, der war zu teuer. Prompt riss sich das Schwein los und stieg bis auf eine Höhe von knapp 5900 Meter, so dass der Flugverkehr für Heathrow zum Erliegen kam und umgeleitet werden musste.
Keine »sterblichen Überreste«
In Dortmund kann das nicht passieren, wenn die große, multimediale Blockbuster-Ausstellung »The Pink Floyd Experience – Their Mortal Remains« eröffnet wird. Es ist nicht geplant, luftgefüllte Tierwesen außen am U-Turm aufsteigen zu lassen, Adolf Winkelmann bespielt aber seine »fliegenden Bilder« auf der Dachkrone entsprechend. Stattdessen wird im Inneren auf 1000 Quadratmetern Fläche alles aufgefahren, was die britische Rockband in den letzten fünf Jahrzehnten produziert hat: Instrumente, Kostüme, Cover, Bühnenbilder, unveröffentlichte Konzertaufnahmen, persönliche Erinnerungsstücke der Musiker, handschriftliche Notizen und Dokumente. Keine »sterblichen Überreste«, wie es im Titel selbstironisch heißt, sondern ein tiefer Griff in die Geschichte Pink Floyds und der Bombastrockmusik. Das Spektakel wurde bereits in Rom und London gezeigt, als einzige Stadt in Deutschland wurde nicht etwa Berlin oder Hamburg, sondern Dortmund ausgewählt.
Ein Ort mit Pink-Floyd-Geschichte: Mitte Februar 1981 fiel in der Westfalenhalle 1 zum ersten Mal die Mauer und das direkt an sieben Abenden. Pink Floyd waren auf Tournee mit »The Wall« – weltweit gab es nur vier Konzertorte, Los Angeles, New York, London und Dortmund. Es existierte zu dieser Zeit sonst keine Konzerthalle oder Mehrzweckarena in Deutschland, in der genug Platz gewesen wäre, um das gigantische Bühnenbild aufzubauen. Außer eben in Dortmund. Die sieben »The Wall«-Konzerte waren 1981 die einzigen in Kontinental-Europa; die Deutsche Bundesbahn setzte eigens »Gesellschafts-Sonderzüge« ein, die die Fans tief in den Westen, in die damalige Industriestadt brachten. Die Presse superlativierte: »Die größte Show der Welt«, »Die Rockshow des Jahrhunderts« und berichtete von »23 Sattelschleppern« und der 40 Meter langen und 12 Meter hohen Mauer aus 250 Steinen, die, als Höhepunkt der Rock-Oper, effektvoll einstürzte.
»Ganz großes Theater«
Fritz Eckenga, heute Kabarettist und immer noch Dortmunder, war 1981 dabei: »Für mich war das ganz großes Theater. Überwältigend modern. Die Show gehört immer noch zu den Top-Five-Konzerten meines Lebens.« Er hat die Ausstellung, die vom legendären Cover-Designer Aubrey Powell co-kuratiert wird, schon im Victoria & Albert-Museum in London gesehen und schwärmt von einem »lebendigen Public-Viewing, jenseits von Leichenschau, Muff und Nostalgiekitsch«. Also doch keine Rock-Oper für Rock-Opas? Das lässt sich ab Mitte September nachprüfen, eins steht aber schon vorher fest – Pink Floyd haben Maßstäbe gesetzt; musikalisch wie visuell. Selbst wer kein Fan der Band ist, der hat Songs, Bilder und Artworks im Kopf. Insofern ist »The Pink Floyd Experience – Their Mortal Remains« auch ein Wiedersehen mit guten alten Bekannten aus der Popkultur. Die Zeile »We don‘t need no Education!« aus »Another Brick in the Wall«, der musikalische Aufstand gegen sadistisches Lehrpersonal. Das markante Prisma mit dem Regenbogen von »Dark Side of the Moon«, noch heute eines der bekanntesten Plattencover überhaupt, manch einer spricht gar von der »Mona Lisa der Coverkunst«.
Der markant-schlichte »The Wall«-Schriftzug. Der Glühbirnen-Anzug von »Delicate Sound of Thunder« ist ebenso in der Ausstellung zu sehen wie die beiden großen Metallköpfe vom »Devision Bell«-Cover und diverse, mit Helium gefüllte Figuren aus den legendären Konzerten. Hinzukommen unbekanntere Dinge wie das Drumkit, auf dessen Bespannung die berühmte Welle des japanischen Malers Hokusai schäumt; das Lieblings-Exponat von Nick Mason.
Ein innovativer Audio-Guide wird den Besucher beim Durchschreiten der Ausstellung mit zielgenauen Musikaufnahmen und Interviews begleiten; kein Album, keine Tour werden ausgelassen. An zwei professionellen Mischpulten kann man selbst zum Bandmitglied werden. Und es ist eine 360-Grad-Audio- und Videoinstallation geplant, für die der Song »Comfortably Numb« mit der Ambeo-3D-Audiotechnologie neu abgemischt wurde – ein einzigartiger 17-Kanal-Remix, der einem über 25 Lautsprechern in die Gehörgänge geblasen wird. Ob sich das besser anhört als damals in der Westfalenhalle, mögen die Zeitzeugen selbst überprüfen.
»The Pink Floyd Experience: Their Mortal Remains«: 15. September 2018 bis 10. Februar 2019, Dortmunder U, Tel.: 0231/50-24723