Im beschaulichen Troisdorf steht eine rote Burg auf einem schönen, idyllischen und weitläufigen Gelände. In der Burg Wissem hat sich das einzige Museum Deutschlands niedergelassen, das sich ausschließlich Bilderbüchern widmet. Ein Besuch ist ein Trip in eigene Kindheitsgefühle – und für den Nachwuchs ein riesiger Spaß. Mehr als nur ein Ausflugstipp.
Die Geschichte des Museums beginnt 1981 mit einem Schatz: Der Troisdorfer Kaufmann Wilhelm Alsleben war leidenschaftlicher Fan von Illustrationen. Doch Alsleben war nicht mehr der Jüngste und machte sich Gedanken über den Verbleib der Sammlung nach seinem Tod. Schließlich besaß er über 300 historische Bilderbuch-Originalzeichnungen sowie zahlreiche Lithosteine, Holzdruckstöcke und einige Tausend moderne Bilderbücher. Zum Teil hielt er selbst Kontakt zu den Künstlern und hatte die Werke persönlich von ihnen überreicht bekommen.
Ein Schatz für die Stadt
Wilhelm selbst sprach nicht gerne über seinen Schatz, und so schaltete seine Nichte Ulrike Alsleben, schon als Kind von den Bildern beeindruckt, den damaligen Bürgermeister von Troisdorf ein. Der konnte dem Unternehmer schnell Gewissheit geben, dass seine Sammlung nicht vergessen und unter städtischer Obhut für nachfolgende Generationen erhalten und zugänglich gemacht werden würde. Wilhelm war überredet, stiftete der Stadt seinen Schatz. Ein Jahr später wurde das klassizistische ehemalige Rathaus von Troisdorf zum Museum – dem ersten und bis heute einzigen Bilderbuchmuseum Europas.
Als meine Familie zum ersten Mal die Burg Wissem betritt, haben wir Glück: Ein verregneter Sonntagmittag liegt hinter uns, der Besucherandrang ist minimal. Im ersten Raum sind wir für uns allein, auf dem Boden, rund um den weitläufigen Saal an den Wänden lehnend, stehen die neuesten aller denkbaren Bilderbücher. Die, von denen man schon mal gehört hat, die ausgezeichnet und gerade angesagt sind. Über den Exponaten – oft mehr als ein Exemplar zum Durchstöbern – hängt an der Wand meist eine Originalillustration der Geschichte und ein kurzer Hinweis auf den Künstler. Mehr Einladung zum Sich-darin-Verlieren geht kaum.
Viel Ruhe zum Stöbern
Das Schönste: Wir sind nicht im Buchladen, wo ein Verkäufer mit der Frage lauert, wann man das durchgeblätterte Exemplar zu kaufen gedenke. Dies ist ein Museum! Mit Exponaten zum Anfassen. Mit viel Ruhe zum Stöbern. Wir möchten den Raum gar nicht mehr verlassen. Uns Notizen einer Geschenkidee für den nächsten Kindergeburtstag machen. Oder möchte ich nicht selbst lieber ein Exemplar von »Annas Himmel« von Stian Hole besitzen? Manche Bilderbücher, so etwa »Der Baum der Erinnerung« von Britta Teckentrupp, sind auch für Erwachsene eine Entdeckung wert. Oder guck mal! »So weit oben« von Susanne Straßer! Das ist so süß, wirklich!
Wir haben offenbar Glück. Der letzte Troisdorfer Bilderbuchpreis wurde kürzlich erst vergeben; neben den Preisträgern sind noch Exponate vieler Teilnehmer des Wettbewerbs in der aktuellen Schau zu finden – daher die Fülle an neuen Bänden in der Haupthalle. Den Preis wird seit Öffnung des Museum 1982 ausgelobt. Im jährlichen Wechsel mit einem Stipendium gilt er als wichtiges Instrument zur direkten Förderung der Illustrationskunst.
Führungen, Workshops, Sonderveranstaltungen
Auch die museumspädagogischen Angebote in solch einem Haus sind erwähnenswert: Sonderveranstaltungen, Führungen oder Workshops für Kinder von 10 bis 14 Jahren sind an der Tagesordnung. Sogar die Kleineren zwischen 5 und 10 Jahren werden spielerisch im Rahmen einer Geburtstagsfeier mit umfangreichem Bastelprogramm an die Bilderbuchkunst herangeführt. Die Schatztruhe, zu der Wilhelm Alsleben mit seiner Stiftung und dem kurze Zeit später entstandenen Förderverein einst den Grundstein legte, füllte sich weiter – und sie wächst bis heute. Weitere bedeutende Sammlungen und Nachlässe von Verlegern, Künstlern und Fans kamen im Laufe der letzten dreißig Jahre hinzu, darunter eine historische Kinder- und Jugendbuchsammlung von 2000 wertvollen Bänden, die 800 Bücher umfassende Rotkäppchen-Sammlung eines Schweizer Sammlerehepaars und eine medizinische Kinderbuchsammlung.
Größtes Janosch-Zentrum weltweit
Zudem hängen im Haus verteilt Originale von Sibylle von Olfers, Herbert Leupin, Jozef Wilkon, Tomi Ungerer, F.K. Waechter, Helme Heine, Nikolaus Heidelbach oder Jutta Bauer. Eine wunderbare Dauerleihgabe der Janosch-film & medien AG macht das Bilderbuchmuseum zum größten Janosch-Zentrum weltweit; fünf bis acht wechselnde Ausstellungen pro Jahr sind hier üblich.
Und wir? Befinden uns immer noch im ersten Raum. Längst wollten wir auf die nächste Etage wechseln, da tut sich ein buntes Spielezimmer auf. Unser Sohn will malen, entdecken, verweilen. Aber auch er möchte noch mehr sehen. Also inspizieren wir die anderen Räume und Stockwerke, fläzen uns in alte Ohrensessel, schnappen uns hier und da ein Leseexemplar, bestaunen die Janosch-Originale und steigen hoch hinauf ins oberste Turmzimmer der Burg. Genießen die Weitsicht. Und verlieren uns in der wunderschönen Schmökerstube in Märchenbüchern aus allen Epochen. Der Nachmittag ist vorbei, dabei würden wir am liebsten erneut in den ersten Raum zurück. Dieses Museum ist ein Schatz, der erfreulicherweise vorbildlich gehegt wird – Pflichttermin für Familien aus ganz NRW.
Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr. Erwachsene 3,50 Euro, Kinder 1,50 Euro, Familientageskarte 10 Euro