REZENSION ANDREAS WILINK
Einmal ist er mit Bob Dylan aufgetreten, von dem wir nur den Hut sehen und eine Rückenansicht in Schwarz. DDR-Biografie, ein verrücktes Gesellschaftsspiel, in dem die Würfel fielen, wie sie eben fielen. Gerhard Gundermann ist keine Erfindung von Andreas Dresen und seiner Drehbuchautorin Laila Stieler, sondern war ein populärer Liedermacher in der DDR und der Nachwendezeit, bis er 1998 mit 43 Jahren gestorben ist.
Langes Haar, wie an die Kopfhaut geklebt, tropfenförmige Metallbrille, Latzhosen-Look, Strickjacke, kragenloses Schauermann-Hemd und ein WG-Geruch, der einem von der Leinwand herab in die Nase zu steigen meint. Die 70er, in die die Geschichte immer wieder zurückkehrt, um dann voran in die Zeit nach 1989 zu gehen, als ‚Gundi’ in der Gauck-Behörde nach seiner Akte fragt, aber dort nur als Täter geführt wird, nicht auch als Opfer. Als er seine Freunde besucht und ihnen erklärt, was er getan hat, ohne recht zu wissen, was es genau war, als er bangt, dass seine Stasi-Vergangenheit öffentlich wird. Ein IM, Deckname Gregori, der spitzelte und bespitzelt wurde.
Mehr mutig als feige
Ein Held der Schwäche mit der Würde des Versagens. Ein Mensch in seinem Widerspruch, rührend, komisch, treuherzig, aufsässig, mehr mutig als feige. Jemand, der seine Klappe nicht gehalten und manches geschluckt hat. Gundermann war Bagger-Führer im Tagebau von Hoyerswerda, wo nachts die Abraumhalde ausschaut wie der Krater mit dem mysteriösen Meteor in Kubricks »2001«. Das Schaufelrad dreht und dreht sich, fräst die Braunkohle heraus – oder auch nicht. Leerlauf. Produktionshemmung. Symbol für ein Land.
Seine Lieder will er »nicht für Brot spielen müssen«, weshalb Gundi die Arbeit trotz Tourneen nicht aufgibt. Er braucht wohl auch die Fühlung. Zur Schicht kommt er mit der Gitarre und übt probehalber Reime und Verse. Die Protestsongs, die er mit seiner Werks-Singgruppe singt, tragen den Stempel bestandener Alltags-Prüfung, sind zärtlich, traurig, warm, handeln präzise vom Leben in der Lausitz und von den Verhältnissen: »Sachzwänge fressen Menschenfleisch.« In seiner Wohnung hängt das Plakat mit dem berühmten Porträt von Che Guevara. Gundi ist Kommunist, nicht Parteisoldat der SED. Privat kämpft er um seine Kollegin Conny (Anna Unterberger), die schon einen anderen Mann hat, bis er es schafft, dass sie eine Familie werden.
Filmpreisverdächtig
Andreas Dresen, der Regisseur realistischer DDR-Poesie (nicht Nostalgie), erzählt von Schuld, von Verrat, von der Liebe, vom Sinn im Unsinn. Wie der von Leander Haußmann für »Sonnenallee« entdeckte Frank-Castorf-Star Alexander Scheer Gundi spielt – schlaksig, wunderäugig, staunend über sich selbst und die Welt, wie sie ist – ist großartig. Wenn er für die Rolle nicht den Deutschen Filmpreis bekommt, wäre mit der Wiedervereinigung noch etwas mehr schief gelaufen.
»Gundermann«, Regie: Andreas Dresen, D 2018, 130 Min., seit 23. August 2018