REZENSION ANDREAS WILINK
Es gibt den Rausch und die Euphorie des Tötens und die Schwermut, es getan zu haben. Dann beschwert sich unsere 21 Gramm wiegende Seele um etliches mehr. D. H. Lawrence sagte – das Zitat steht diesem Film voran: »Die amerikanische Seele ist in ihrer Essenz hart, isoliert, stoisch und mörderisch. Sie ist bisher noch niemals aufgetaut.« Scott Cooper will sie von Eisschichten befreien. Dafür gibt es im Kino nur zwei Genres: das Gangsterepos und den Western, die beiden mythischen, mit Blut geschriebenen Erzählungen des Landes unter dem Sternenbanner. »Cheyenne Autumn« hieß John Fords Film von 1964 – er sollte die Rücknahme sein all der von ihm inszenierten vorherigen filmischen Feldzüge gegen die Indianer, die häufig von John Wayne befehligt wurden.
Auch in »Feinde« ist der Herbst eines Cheyenne-Patriarchen angebrochen. Häuptling Yellow Hawk (Wes Studi), krebskrank und mit seiner Familie seit sieben Jahren in New Mexico eine Art Staatsgefangener, soll heim dürfen nach Montana, um zu sterben. Präsident Benjamin Harrison hat 1892 – der Norden erlebt seine Industrialisierung – die Freilassung beschlossen bzw. nur die Überstellung ins Reservat. Ein Trupp Kavallerie soll die fünf Personen sicher dorthin bringen: mehr Gefangenentransport als Geleitschutz. Das Kommando bekommt, als letzten Befehl vor der Pensionierung, Captain Blocker (Christian Bale). Der beinharte Offizier, der seinen Caesar im Tornister trägt und in ihm liest wie in der Bibel, und der in manchen Momenten seine Tränen nicht zurückhalten kann, so dass sie das Stein gewordene Gesicht erweichen, hat mit General Custer die Indianerkriege durchfochten und am Wounded Knee gegen Yellow Hawk gekämpft. Sie haben sich nichts geschenkt. Der eine hat ebenso massakriert und skalpiert wie der andere, der eine ebenso die Freunde schlachten und hingeschlachtet gesehen wie der andere. Blocker hasst die Indianer und will Rache. Yellow Hawks Miene ist keine Gefühlsregung anzumerken.
Unterwegs treffen sie auf Rosalie Quaid (Rosamund Pike). Die Farmerin konnte dem Gemetzel an ihrem Mann und den drei Kindern durch die Komantschen, das den krassen Prolog des Films bildet, entkommen, halbwahnsinnig geworden vor Angst und Schmerz. Eigenhändig will sie, aber kann nicht den harten Boden der Prärie aufwühlen, um die Leichen und die Bündel totes Fleisch begraben: eine blutbefleckte Lady Macbeth als Opfer. Später wird sie sagen: »Manchmal neide ich dem Tod seine Endgültigkeit«. Doch sie wird überleben, wieder Mutter sein dürfen und Frau.
Die Gruppe dieser Unerlösten lernt unterwegs – bei Attacken, Gewalttaten, Morden –, dass Weiß und Rot und Schwarz keine Kategorie sind, die etwas über Gut und Böse aussagen. Sie lernen, einander gegenüber Achtung zu tragen. Schuld ist individuell, auch wenn ein ganzer Staat den Völkermord an den betrogenen, entrechteten, verjagten, gedemütigten, getöteten Ureinwohnern auf dem Gewissen hat. Sie wird individuell getilgt, gebüßt, vergeben. Ein Soldat erschießt sich, weil er die Bürde seiner Vergangenheit nicht erträgt; ein anderer hat nichts begriffen und kennt keine Reue. Die Reise wird zur reinigenden Passionsfahrt. Und, bei Gott, das, was »Feinde« erzählt, ist nicht historisch, sondern akut. Auf seiner Folie betrachten wir andere ungelöste, nein, unerlöste Konflikte, wie den zwischen Israelis und Palästinensern, Juden und Arabern.
Dass Scott Coopers großartiger Film Pathosformeln benutzt, zu denen (wie immer im Western) auch Natur und Landschaft gehören, die sich magisch aufladen und zeichenhaft wirken, dass das Alte Testament und William Shakespeare hier gewissermaßen Blutsbrüderschaft schließen, ist der Sache angemessen. So viel Schuld – und dann doch ein wenig Gnade.
»Feinde – Hostiles«; Regie: Scott Cooper, USA 2018, 135 Min.; seit 31. Mai