Noch sei nichts entschieden, beschwichtigt derzeit das Ministerium für Kultur und Wissenschaft. Baden-Württemberg hat sie bereits, die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer. Die Zahlen über die dortigen Auswirkungen sollen zunächst abgewartet und analysiert werden. Nur wenn sich der Wunsch nach Internationalisierung mit 1500 Euro pro Semester vereinbaren lassen, will auch NRW Gebühren erheben. Für die Kunst- und Musikhochschulen im Land wären die Auswirkungen allerdings deutlich spürbar. Mit über 30 Prozent Studierenden aus dem Nicht-EU-Ausland wären die Hochschule für Musik und Tanz in Köln, die Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf, die Kunstakademien in Düsseldorf und Münster, die Musikhochschule in Detmold, die Kunsthochschule für Medien in Köln und die Folkwang Universität in Essen besonders stark betroffen.
Suren Kirakosian studiert im Masterstudiengang Orchesterspiel Bratsche an der Folkwang Universität. Wegen des hohen Niveaus der Ausbildung und der Orchester entschied sich der Georgier für das Studium hier. Auch schon ohne Studiengebühren sind die damit verbundenen finanziellen Belastungen hoch. 8700 Euro müssen auf einem Sperrkonto hinterlegt werden, um ein Visum zu bekommen, 300 Euro kostet der Semesterbeitrag, der allerdings, das merkt Kirakosian positiv an, auch das Semesterticket enthält. Die jährliche Verlängerung des Visums schlägt nochmals mit 100 Euro zu Buche. Ein professioneller Orchestermusiker in Georgien verdiene rund 300 Euro im Monat, gibt der 24-Jährige zum Vergleich zu bedenken. Mehr als ein 450-Euro-Minijob ist rechtlich nicht möglich, dazu eventuell noch gelegentliche Privatstunden. Die Finanzierung eines Auslandsstudiums ist für die meisten Nicht-EU-Ausländer nur durch die massive Unterstützung ihrer Familien möglich. Damit verbindet sich dann die Hoffnung, nach dem Studium auch in Deutschland oder Europa ein Engagement zu finden, um etwas zurückgeben zu können. Auch Kirakosian hofft darauf. Mit den geplanten Studiengebühren wäre für ihn ein Studium in Deutschland von vornherein unmöglich gewesen.
In einer ersten Stellungnahme zu den Plänen der Landesregierung erklärte die Landesrektorenkonferenz der Kunst- und Musikhochschulen in NRW bereits im Juli 2017, weshalb die Hochschulen auf Studierende aus Nicht-EU-Ländern angewiesen sind: »Die wenigen Studienplätze werden ausschließlich über eine künstlerische Eignungsprüfung vergeben. Deshalb stammen die Studierenden nicht zwangsläufig aus besonders gutsituierten Familien, sondern es handelt sich um hoch talentierte junge Künstlerinnen und Künstler, die dem exzellenten Ruf der Kunst- und Musikhochschulen nicht nur folgen, sondern ihn auch aktiv mitprägen. Diese besondere Stellung der Kunst- und Musikhochschulen darf durch die Einführung besonderer Gebühren nicht beeinträchtigt werden.«
Die Erklärung endet mit der eindringlichen Bekräftigung, dass, sollten Studiengebühren erhoben werden, diese in voller Höhe bei den Hochschulen verbleiben müssten. Allerdings nicht, um damit die Lehre nachhaltig zu verbessern, wie es sich das Ministerium vorstellt, sondern lediglich, um damit wiederum Stipendien zu finanzieren, damit weiterhin die talentiertesten und nicht nur die solventen Künstler/innen in NRW ausgebildet werden können. Mit anderen Worten: Es würde ein unnötiger Geldkreislauf, mit zusätzlichem bürokratischem Aufwand, geschaffen, nur um das jetzige Niveau der Studierenden aufrechtzuerhalten. Das allerdings wäre noch der beste Fall. Viel eher ist vorstellbar, dass talentierte Künstler sich gar nicht mehr an den hiesigen Hochschulen bewerben, sondern in Bundesländer oder Staaten ausweichen, die gleichfalls hohes Ausbildungsniveau, aber eben keine so hohen finanziellen Belastungen versprechen.
Das wichtigste Argument für Studiengebühren ist, dass es nicht sein könne, dass jemand in Deutschland kostenlos studiere, um dann in die Heimat zurückzukehren und dort zu arbeiten. Der Brasilianer Lucas Lopes, der in Essen Tanz studiert, hätte dazu beste Voraussetzungen. Der moderne Tanz und die Tradition des deutschen Tanztheaters – voran Pina Bausch – seien in seiner Heimat bewundert und höchst geschätzt. Dennoch ist auch für ihn klar, nach dem erfolgreichen Abschluss zu versuchen, in Europa zu arbeiten. Nicht so sehr aus finanziellen Gründen, sondern vor allem aufgrund der politischen Situation daheim. Für viele andere Herkunftsländer gilt das nicht. Da wäre allein aus künstlerischen Gründen eine Rückkehr nicht möglich, weil es oft keine Ensembles für modernen oder zeitgenössischen Tanz gibt. Das umfangreiche Wissen über die Arbeit in der freien Szene, das Stellen von Förderanträgen, die Möglichkeiten der Projektfinanzierung, das im Rahmen des Tanzstudiums zum Beispiel an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln vermittelt wird, ist zwar eine wichtige Vorbereitung auf die Arbeit in Europa, aber völlig nutzlos in Ländern, die über komplett andere Strukturen verfügen.
Auch Lucas Lopes könnte sich das Studium mit den geplanten Gebühren nicht leisten. Er wohnt im teuren Stadtteil Werden, nahe der Universität. Anders ist es kaum möglich bei einem Arbeitspensum von 8.30 Uhr morgens bis oftmals 17.30 Uhr, danach noch Sprachkurse, eigene Projekte und Proben bis spät in die Nacht hinein. Seminare und Trainings finden in Essen auch samstags statt. Lopes lebt derzeit in einem 18 Quadratmeter-Zimmer zusammen mit einem weiteren Studienanfänger aus Brasilien. Dabei hat er sogar noch Glück, bekam einen Job an der Uni, wo er das Tanzarchiv der Hochschule sichtet und aufbereitet. Aufgrund der wenigen freien Zeit und der Sprachbarriere ist das eine der wenigen Chancen, überhaupt etwas zum Lebensunterhalt dazu zu verdienen.
Auch wenn der Rektor der Folkwang Universität, Prof. Dr. Andreas Jacob, die Kunst- und Musikhochschulen in NRW aktuell für unterfinanziert hält, sind Studiengebühren für ihn nicht das Mittel der Wahl, weil sie die Exzellenzbemühungen der Hochschulen gefährdeten. Das hohe Ausbildungsniveau ist nur auf Basis einer internationalen Talentsuche möglich, nur mit hochbegabten Studierenden aus der ganzen Welt sei der weltweite Ruf der Kunst- und Musikhochschulen in NRW aufrechtzuhalten. Die Einführung von Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer würde gleich mehrfach die Studierenden spalten, zwischen solchen, die zahlen müssen, und denen, die kostenlos studieren, zwischen reicheren und ärmeren Herkunftsländern. Das Ministerium für Wissenschaft und Bildung muss die besondere Stellung der künstlerischen Ausbildung in NRW berücksichtigen. Möge also die Entscheidung mit den zugrunde liegenden Zahlen aus Baden-Württemberg differenziert genug sein, um die Sonderbedingungen der künstlerischen Fächer abzubilden.