Mit dem Titel hat Benjamin von Stuckrad-Barre nicht nur einen Platz in der Hall of Fame für unnötig lange Buchtitel ergattert, sondern sorgt auch für Irritationen. Die Frage nach »Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen« verwirrte kürzlich einen Buchhändler. »Wir wollten einer Kundin erst ein Glas Wasser bringen, die nach dem Buch gefragt hat!«, retweetete der Verlag dessen Meldung entzückt.
Stuckrad-Barres letztes Buch, das Memoir »Panikherz«, kam unerwartet, war eine heftige Reise ins Innere und gleichzeitig Liebeserklärung an seinen Lebensmenschen Udo Lindenberg. Der Autor am Boden; Depressionen, Drogen und die Selbstfindung am Sunset Boulevard. Man hat diese Zeit im Hinterkopf, wenn man seine Reportagen in »Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen« liest. Weil er, Stuckrad-Barre, wieder da ist, lässig am Leben vorbeischlendert, den Alltag mitschreibt, sogenannten Prominenten auf die Pelle rückt, das Hintergrundrauschen der Gesellschaft dokumentiert.
Auch wenn einige der Texte älter und bereits in Zeitungen erschienen sind – man begleitet Stuckrad-Barre gern zur Privataudienz des ehemaligen, nunmehr esoterischen Talkshowpfarrers Jürgen Fliege und zum Madonna-Konzert, wo ihn ihr altgewordener Provo-Symbolismus nervt: »Mischung aus Sadomaso-Katholizismus, Saunaclub, Mädcheninternat, Führungskräfteyoga und Schaumpartykabbala«. Dann die resignative Feststellung: »Gute Stunde rum, noch keine Erektion.« Stuckrad-Barre gibt Einblicke in das gemeinsame Schreiben des »Zettl«-Drehbuchs mit Helmut Dietl, an dessen Ende ein 650 Seiten starker Papierstapel steht, dessen neunstündige Verfilmung etwa 100 Millionen Euro kosten würde. Das ist manchmal etwas selbstreferenziell, macht dennoch Laune, etwa wenn er boshaft in eine Redaktionskonferenz hineindenkt, die lustlos ihre Text-Ideen zum 80. Geburtstag von Thomas Bernhard zu Tode diskutiert.
Dank Stuckrad-Barre gelangt der Leser ins Büro des Kiepenheuer & Witsch-Verlegers Helge Malchow und erfährt, wie dessen Mini-Bar bestückt ist. Für eine Berlinale-Berichterstattung telefoniert Stuckrad-Barre sich bei Prominenten Erinnerungen zusammen, damit er nicht selber dort hin muss. Deren Statements sind so furchtbar austauschbar, dass es einen um die deutsche Kulturszene graust. Launig wird es erst bei Otto Sander – »›Pina‹ war sehr gut. Wim Wenders und Erotik – wer hätte das gedacht?« – und bei Hellmuth Karasek, der sich beklagt, dass er auf dem Filmfestival laufend mit Helmut Markwort verwechselt würde.
Stuckrad-Barres »Vorruf auf Walter Kempowski« und sein Besuch bei dem damals bereits todkranken Schriftsteller in Nartum gerät dann so, wie es sein soll. Ernst, radaulos, voller Respekt und innerer Komplizenschaft diesem großen kleinen Mann gegenüber, der seinem baldigen Abschied »fröhlich nicht, aber doch heiter« entgegensieht. Im letzten Kapitel kehrt der Autor ins Hotel »Chateau Marmont« am Sunset Boulevard zurück; ein Wiederauferstandener, der Pathos meidet und am Ende den Satz notiert: »Sonst war nichts.«
Benjamin von Stuckrad-Barre: »Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen – Remix 3«, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2018
Roman, 320 Seiten, 20.- Euro
Lesungen am 11. April 2018 in der Zeche Bochum, am 18. April 2018 im Gloria Theater, Köln, am 19. April 2018 im Zakk, Düsseldorf und am 20. April 2018 im Ringlokschuppen, Bielefeld.