INTERVIEW STEFAN LAURIN
Bislang gab es in unserem Bundesland keinen Beauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler. Weshalb jetzt?
Heiko Hendriks: Allein nach dem Krieg kamen 2,4 Millionen Menschen aus den im Krieg verlorenen Teilen Deutschlands nach Nordrhein-Westfalen. Sie haben dieses Land mit aufgebaut und sind ein wichtiger Teil seiner Geschichte. Nach 1990 kamen dann aus den Siedlungsgebieten der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion mehrere hunderttausend Spätaussiedler zu uns nach NRW. Davor gab es immer wieder Deutsche aus Ungarn, Polen und Rumänien, die herkamen. Zu meinen Aufgaben wird es gehören, ihre Geschichte zu dokumentieren und dafür zu sorgen, dass ihre Erfahrungen nicht verloren geht.
Warum halten Sie diese Erfahrungen für wichtig?
Hendriks: Flucht, Vertreibung und Integration sind aktuelle Themen. Diese Menschen haben ein Wissen, dass sie weitergeben können. Viele der deutschen Heimatvertriebenen haben erfahren müssen, nicht gerade offen aufgenommen worden zu sein. Die circa 200.000 Heimatvertriebenen, die heute noch unter uns leben, aber auch ihre Familien, in denen Geschichten von Flucht und Vertreibung akut präsent sind, sind beim Thema Flucht sensibler als andere. Sie wissen, was es bedeutet, alles zu verlieren und anderswo neu anfangen zu müssen. Die Geschichte der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler ist aber auch eine Geschichte erfolgreicher Integration: ein Pfund, mit dem wir wuchern können.
Ganz so erfolgreich ist die Geschichte nicht. Viele der aus Russland Gekommenen etwa trauen Putins Propagandasendern mehr als den deutschen Medien, viele wählen auch AfD.
Hendriks: Die allermeisten haben sich problemlos integriert. Sie sind gut qualifiziert, häufig Handwerker, haben schnell einen Arbeitsplatz gefunden und fallen schon lange nicht mehr auf. Sicher, wer in Russland oder Kasachstan sozialisiert wurde, hat oft noch eine enge Beziehung zu seinem Herkunftsland, was ja auch nichts Schlimmes ist. Und ob alle, die daher stammen, auf russische Propaganda reinfallen, wage ich zu bezweifeln. Außerdem sind nicht alle, die aus Russland zu uns kamen, Deutsche. Viele sind auch ganz normale Russen. Dass Deutsche aus Russland empfänglicher für ausländische Propaganda sind, wurde noch nie untersucht. Auch das ist eine Frage, mit der ich mich in Zukunft beschäftigen kann.
Ein Beauftragter für Heimatvertriebene, angesiedelt im Kulturministerium. Ein Bundesminister für Heimat. Der Begriff Heimat erlebt eine Renaissance …
Hendriks: Heimat hat einen hohen Wert. Es ist der Ort, an dem Menschen leben, dem sie sich verbunden fühlen. Es ist häufig etwas Regionales. Ich bin mir auch sicher, dass, wer seine Heimat schätzt, auch seine Nachbarn schätzt. Heimat hat für mich eine friedensstiftende Botschaft.
Was werden Ihre ersten Projekte sein?
Hendriks: Im Moment führe ich viele Gespräche mit Vereinen und Verbänden, stelle mich vor, informiere mich und baue Kontakte auf. In einer zweiten Phase wird es mir dann auch etwa um den Aufbau einer Erinnerungsstätte in Unna-Massen gehen, wo viele Menschen ihren ersten Kontakt mit Westdeutschland hatten. Wichtig ist mir auch das Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalens.