REZENSION ANDREAS WILINK
Zu den Tagen, die mir unvergessen bleiben, gehört der Pfingstsamstag 1982, der 29. Mai. Ich war auf dem Weg in die Schweiz, unterwegs im Gotthard-Tunnel, als im Radio die Nachricht kam: Romy Schneider ist tot. Meine Generation wird verstehen, dass mehr als ein ‚Star’ starb. Der dritte »Sissi«-Film lief in meinem Geburtsjahr, 1957, in den Kinos. Seit Claude Sautets »Die Dinge des Lebens« habe ich jeden ihrer Filme gesehen, nicht erst in der Rückschau. Die 70er Jahre sind für mich das Gesicht von Romy Schneider: die in Viscontis »Ludwig II.« klirrend lachend durch den Spiegelsaal von Herrenchiemsee geht und ihre eigene Vergangenheit in der Kaiserinnen-Rolle verhöhnt. Die am Anfang von Zulawskis »Nachtblende« als blutbefleckte Porno-Darstellerin sagt: »Nein, ich bin Schauspielerin. Ich kann wirklich etwas«; die in Sautets Filmen so wunderbar leicht, frei, erwachsen und weiblich war.
Die unfassbar schön von Chabrol inszeniert wurde; die wie keine Zweite an einer Zigarette zog; deren herzförmiger Haaransatz im straff gezogenen Scheitel einen rühren konnte. Und dann war da die Romy Schneider, die in Dietmar Schönherrs Talkshow tief verstört Antwort gab oder schwieg; die Heinrich Böll einen flehenden Brief schrieb; die ernst genommen werden wollte. Die alles, ja, wirklich alles auf der Leinwand konnte und wenig im Leben. Sie selbst sagte: »nichts«. Ihre Rollen, ihre Stimme, das öffentliche Leben der Romy Schneider, der Skandal Romy Schneider im Adenauer-Deutschland, die Krisen und Katastrophen – und parallel dazu unser Leben. All dies läuft wie ein zweiter Film mit, wenn ich »3 Tage in Quiberon« sehe.
Ein Jahr vor ihrem Tod gab sie dem Reporter Michael Jürgs ein Interview für den stern; der Fotograf Robert Lebeck machte die Fotos; dabei ihre Schulfreundin Hilde, die sie, die sich schutzlos ausliefert, zu schützen versucht. Es gibt ein wunderbares Buch mit diesen Fotos: unbeschwerten Bildern, lachend und tanzend mit Fischern im Bistro; draußen im Wind auf den Steinen am Meer; im Hotelzimmer, nächtlich umschattet, abgefüllt mit Chablis und Tabletten, vergrübelt, schmerzintensiv. Nicht mehr bei sich und ganz da. Eines dieser Fotos steht auf meinem Schreibtisch: Romy Schneider, ungeschminkt, in der einen Hand die Zigarette, die andere liegt groß und schwer an ihrer Stirn. Wie eine Kohlezeichnung der Käthe Kollwitz.
Und nun der Film von Emily Atef, der Schwarzweiß sein musste, der diese Tage und seine Gespräche ‚nachstellt’. Marie Bäumer spielt (leider gibt es kein besseres Wort) Romy Schneider. Doch wir vergessen, dass jemand anderer da vor der Kamera agiert. Die Selbstaufgabe der Bäumer ist die grandiose Selbstfindung ihrer Figur: Persona. Noch einmal begegnen wir ihr. Der Rest ist – mit Birgit Minichmayr, Robert Gwisdek als Jürgs, Charly Hübner als Lebeck – gut besetztes deutsches Fernsehspiel.
»3 Tage in Quiberon« zeigt und ist das grausame Protokoll eines Unglücks und eines medialen Übergriffs, der vielleicht von Empathie getragen war – und doch die totale Grenzüberschreitung. Ein inquisitorischer Prozess. Ein Raubzug in die Seele eines gequälten, kaputten Menschen. Romy Schneider war 43, als sie starb. Was soll’s, dass jemand trivial findet, wenn es heißt: Sie starb an gebrochenem Herzen. Eine rabbinische Weisheit sagt, das gebrochene Herz ist das heilste Herz.
»3 Tage in Quiberon«; Regie: Emily Atef; D 2018; 115 Min.; Start: 12. April