El Dorado? Das sei eine Fata Morgana, bekommt Rudolph August Berns von Alexander Humboldt zu hören: »Ein Gespenst, ein Alb, ein Wahn, in die Welt gekommen, um schwache Gemüter zu verwirren. Seit der Zeit der Konquista jagen Scharen von Hanswürsten dem Gold hinterher! Warum, frage ich Sie, warum?«. Humboldt ist bereits 89 Jahre alt, krank und lebt missgelaunt und zurückgezogen in seiner abgedunkelten Berliner Wohnung; ein auf Menschengröße geschrumpfter Held. Die schroffe Ablehnung bestärkt den jungen Berns aber nur in seinem Plan, eines Tages die sagenhafte verschollene Goldstadt der Inkas im südamerikanischen Dschungel zu finden.
Geboren 1842, versucht Berns bereits als Kind mit seinem Vater winzige Goldstücke aus den Sandbänken des Rheins bei Uerdingen zu waschen, das heute zu Krefeld gehört. Sein Weg führt ihn mit seiner Familie erst nach Berlin, später als Schlosserlehrling nach Solingen. Als er zum preußischen Militärdienst einberufen wird, fährt er nicht nach Düsseldorf in die Kaserne, sondern flüchtet nach Rotterdam aufs Schiff, das ihn nach Südamerika bringen soll. Dort verdingt sich Berns als Waffentechniker beim Militär, verdient sein Geld als Ingenieur beim Bau von Eisenbahnen und des Panamakanals, ohne seinen Traum aus den Augen zu verlieren. Schließlich entdeckt er im Regenwald Ruinen, die er großspurig als die gesuchte Goldstadt verkauft. Tatsächlich hat er die Überreste von Machu Picchu gefunden.
Die Geschichtsbücher kannten bisher keinen Augusto Berns; stattdessen wird die Entdeckung von Machu Picchu dem Amerikaner Hiram Bingham zugeschrieben, und das erst 1911, ganze dreißig Jahre später als Berns. Sabrina Janesch, die in Münster lebt und 2017 mit dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis ausgezeichnet wurde, ist durch eine Zeitungsmeldung auf Berns aufmerksam geworden. Hat sich ausführlich durch Akten, Archive und Verzeichnisse gewühlt, um die Puzzlestücke zu einem Roman und der, teils fiktionalen, Biografie Berns’ zusammenzusetzen.
»Die goldene Stadt« ist ein großer Abenteuerroman und gleichzeitig literarische Geschichtsstunde; rasant und plastisch geschrieben, mit Liebe zum historischen Detail. Janesch beginnt mit Berns’ Kindheit, während der das Land industrialisiert wird, die kaiserliche Eisenbahn nach Uerdingen entsteht und am gegenüberliegenden Rheinufer in Duisburg Schlote in den Himmel wachsen. Bei ihren Recherchen stieß sie auf eine Tagebuchseite von Hirman Bingham, datiert auf den 2. August 1911, die dieser nachträglich eingefügt hat. An jenem Tag traf Bingham unterhalb des bis dato offiziell noch unentdeckten Machu Picchu auf einen alten, zerlumpten Deutschen, der das Gespräch suchte und eine bedeutsame Ruine ganz in der Nähe erwähnte. Den Namen des Mannes hat er nicht genannt, aber Janesch ist sich sicher, dass es sich um Augusto Berns, den Jungen vom Niederrhein, gehandelt haben muss.
Sabrina Janesch: »Die goldene Stadt«, Rowohlt Berlin, Berlin, 2017, Roman, 528 Seiten, 22,95 Euro
Lesung am 23. Januar 2018 in der Stadtbücherei Halle (Westfalen).